Es gibt nicht „das Marienbild“

Im Hochmittelalter neuer Akzent: Wiederentdeckung des Aristoteles, der Weg weg von platonischer Leibfeindlichkeit, aufgeklärte rationale Denkweise, die sich der materiellen Welt zu wendet. Für die Kunst wurde die Wende zu Aristoteles schwerwiegend, Bilder und Skulpturen gewinnen an Individualität und Emotion. Der byzantinische Kaiserchristus wird vom blutüberströmten leidenden Schmerzensmann abgelöst, die thronende Maria von der schönen Madonna und der Pieta. Dieser greifbar gewordene Körper steigert sich im Barock. Die Individualisierung der Frömmigkeit, die um sich greifende Mystik, die gesteigerte Marien- und Märtyrerverehrung machen die Bilder in der Kirche zu dynamischen Seh- und Farberlebnissen, Räume beginnen zu schwingen, Decken und Bildgrenzen werden durch Himmelsvisionen aufgerissen. (Ignatius von Loyola: Vorstellen biblischer Szenen, hineinleben, Krippen entstehen.)

  • Christliche Kunst war über Jahrhunderte Ausdruck der jeweiligen Geistesgeschichte – beides Ergebnis eines kreativen Gesprächs. Im 19. Jh. kam es hier zu einem einschneidenden Bruch. Das Trauma von Revolutionen und neuen Geisteswelten war Ursache dafür, dass sich die kath. Kirche gegen die Moderne gestemmt hat. Auch im ev. Bereich etwa: Eisenacher Regulativ von 1861. Der Dialog mit einem zunehmend selbständigen Partner wollte nicht mehr gelingen. Historismus als allgemeiner Ausdruck (nicht nur der Kirche) dieser Zeitepoche, wo berühmte Künstler andere Wege gehen? Was wäre etwa gewesen, wenn van Gogh den Typus der Madonna von Lourdes geprägt heute oder Monet einen neuen Bildtypus der Immaculata kreiert hätte?
  • Das 20. Jh. zeigt den mühsamen Versuch des neuen Aufeinanderzugehens, das 2. Vaticanum betont ja in Art. 122 von SC: Die Kirche hat niemals einen Stil als ihren eigenen betrachtet. Auch die Kunst unserer Zeit und aller Völker und Länder soll in der Kirche Freiheit der Ausübung haben. Individualisierung der Bilderwelten – jeder Künstler, jede Künstlerin ist ein eigener Stil.

Der Feinputz marianischer Theologie als Hintergrundfolie

Vier katholische Grunddogmen, die großen Einfluss auf die Bilderwelt Mariens haben: Alle vier prägen das Bild Mariens und gehen oft ineinander über.

  • Maria als Jungfrau: Manifestiert in den ältesten Glaubensbekenntnissen: Credo von 381: Hat Fleisch angenommen durch den heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden: Die Jungfrau zeigt sich in Bildern von ihrem Tempelgang, Verkündigung Heimsuchung, Maria als Betende oder Immaculata.
  • Maria als Gottesgebärerin – Streit zwischen Konstantinopel und Alexandria: Der menschgewordene Jesus ist auch der göttliche Jesus – Maria als Gottesgebärerin 431 in Ephesus bezeichnet: Sie ist nicht also nicht nur Christusgebärerin. Diese beiden Begriffe waren damals im Osten heiß diskutiert, die Leute redeten sich an den Stammtischen die Köpfe heiß und Marktfrauen warfen sich die Krautköpfe nach, so engagiert wurde damals gestritten, das Volk hat dann vielfach gejubelt. Ein autonomes Marienbild nimmt ab diesem Datum seinen Anfang im Großen und Ganzen. Bis dahin wurde Maria im Zusammenhang christologischer Themen dargestellt (Sarkophagplastik, Themen Epiphanie, Geburt Christi etc.). Es folgen Darstellungen der Gottesmutter mit Kind, als lebendiger Thron, als stillende, als königliche Mutter. Maria als Kirchenpatrozinium entsteht (in Byzanz 32 Kirchen vor dem Bilderstreit Maria geweiht, in unserem Land Maria als häufigstes Patronat. Bei uns seit dem frühen 8. Jh. im Stift Nonnberg als älteste Maria geweihte Kirche.
  • Die beiden weiteren Dogmen haben sich jahrhundertelang entwickelt und wurden erst im 19. und 20. Jh. lehramtlich endgültig ausgesprochen: Unbefleckte Empfängnis (1854) und Aufnahme in den Himmel mit Leib und Seele (1950) – die wichtigsten Bildtypen aber bereits in der Barockzeit:  Immaculata und Assumptio Mariae. Danach die Damenmadonnen von Lourdes und Fatima.

Die Farben des Freskos – Bildkritik in Geschichte und Gegenwart

Auf diesem Hintergrundputz sollen nun die Farben des Freskos aufgetragen werden, viele verschiedene Farben einer Gestalt des Glaubens in den Farben ihrer jeweiligen Zeit und Geistesgeschichte.

  • Nicenum II 787 spricht von der rechten Bilderverehrung: “Wir beschließen, die ehrwürdigen und heiligen Bilder anzubringen, dies gilt für das Bild unseres Herrn und Gottes und Erlösers Jesus Christus, unserer unbefleckten Herrin, der heiligen Gottesgebärerin, der ehrwürdigen Engel und aller heiligen und frommen Menschen. Je häufiger sie nämlich durch eine bildliche Darstellung angeschaut werden, desto häufiger werden die Betrachter emporgerichtet zur Erinnerung an die Urbilder und zur Sehnsucht nach ihnen, dass sie diesen einen Gruß und achtungsvolle Verehrung zuwenden, nicht jedoch die nach unserem Glauben wahre Anbetung, die allein der göttlichen Natur zukommt. Denn die Verehrung des Bildes geht über auf das Urbild, und wer das Bild verehrt, verehrt in ihm die Person des darin Abgebildeten.
  • Der Westen war hier pragmatischer: Quattuor libri Carolini des Theodulf von Orleans im Auftrag Karls des Großen nach 787 als Antwort auf Nicenum (Hier gab es Missverständnisse durch falsche Übersetzungen und den Unterschied zwischen Verehrung und Anbetung). Bilder und Statuen sind zur Belehrung des Volkes, sie sind Schmuck der Braut Christi. Kultgerät und Kirchenschmuck ist Ausdruck der unsichtbaren Herrlichkeit, das hinweist auf die künftige Herrlichkeit Gottes. Bildkritik Bernhards gegen Abt Suger und die Bilderflut: „Was macht das Gold im Heiligtum? Es ist ein Kreuz aus Holz und nicht eines aus Silber gewesen, das die Welt erlöste!“ Kritik gegen Bauzierde, Gemälde auf Fenstern – um 1130 Verbot von Skulpturen Malereien und Bildern, erlaubt sind nur Altarkreuze aus Holz und ein Bild der Gottesmutter Maria, da praktisch fast alle Ordenskirchen Marienkirchen waren.
  • Bildkritik der Reformatoren: Ablehnung der Bilder durch Andreas Bodenstein, Karlstadt und Johannes Calvin, Bildersturm.
    Luther ist gegen eine solche Stürmerei: Acht Predigten 1522 gegen Bildersturm. In der vierten Predigt geht es um Verurteilung eines auf Bildern gesetzten Heilsvertrauens und einer magischen Verehrung derselben, aber: Der vernünftige Mensch sei in der Lage, zwischen Bild und Abgebildetem zu unterscheiden, er kann sich in rechter Weise vor dem Götzendienst hüten: „Das Kruzifix das ich da sehe ist mein Gott nicht, denn mein Gott ist im Himmel, es ist nur ein Zeichen“. Bilder sind also nützlich zur Gedächtnisübung und Erregung frommer Vorstellungen. Nicht die Bilder sind schlecht, sondern nur ihr schlechter Gebrauch  so blieben für
    Luther auch Bildthemen der christlichen Kunst weiterhin relevant, Schmerzensmannbilder Cranachs oder umgewandelte marianische Bilder, vgl. Holzschnitt aus Rhaus Lustgarten der Seele 1558 (Georg Rhau, Wittenberger Verleger):
    Vorrede: Bilder sind für Kinder nützliches Hilfsmittel, Zweitverwendung von Cranachs Holzschnitten von 1509, geschaffen für das Wittenberger Heiligtumsbuch 1509 (kath. Reliquienkult), Maria wird gleich dargestellt, mit anderer Beischrift: Man soll Maria nicht wie bei den Papisten abgöttisch anrufen, sie verleiht keine Gnade, sondern hat Gnade bei Gott gefunden. Das deckt sich mit Luther, Magnificatauslegung von 1521: Maria ist nicht voll der Gnade: „Da müsse man an ein Fass denken, das mit Gnade gefüllt sei wie mit Bier.“ Es muss heißen: …von Gott begnadet, Gnade nicht als Besitz sondern Geschenk. Luther empfiehlt hier Künstlern, Maria darzustellen „wie die göttlich Gnade mit ihrer Unwürdigkeit zusammen kummen sint“. Ein Bild Mariens mit dem Kinde hatte Luther in seinem Arbeitszimmer.
  • Changieren zwischen Mutter und Madonnendarstellungen in der prot. Kunst. Maria als Muster aller Mütter in Nöten, Freuden und Sorgen (vgl. Barthel Behams Maria in der Fensternische als Genrebild – um 1529).