Vor echten Leuten

[2020-03-10]

In gewohnt professioneller Art und Weise führte die „Chefin“ des Rehhofer Pfarrzentrums, Maria Hadwiger, durch den Abend.

NEU: Den ganzen Vortrag anhören!

Strömender Regen und täglich neue, schlechte Nachrichten rund um den Corona-Virus, waren dem Wunsch der Besucher, am zweiten Abend der Fastenaktion dem Vortrag von Pro. Dr. Martin Rötting zu lauschen, nicht gerade förderlich. Trotzdem war auch der Abend im Pfarrzentrum Rehhof gut besucht und wurden die Besucher mit einem interessanten und durchwegs erfrischendem Vortrag belohnt. Der Vortragende meinte daher auch nicht ganz unzutreffend, dass er es genieße, vor „echten Leuten“ sprechen zu können, sind doch alle Veranstaltungen mit mehr als 100 Menschen in Räumen wegen des Virus jetzt verboten und sein Arbeitsplatz, die Universität in Salzburg, wurde deshalb bereits vorübergehend „zugesperrt“.

Nachstehend kann der Vortrag (ohne Diskussionsbeiträge) unter dem nachstehenden Link als Audiodatei angehört werden.

Kompletten Vortrag anhören (neues Fenster wird geöffnet)

Was ist Pilgern eigentlich?

Martin Rötting hatte bereits eine Veranstaltung zum „Interreligiöser Pilgern“ organisiert und gilt daher als ein Experte, der weiß wovon er spricht. Der derzeit wohl bekannteste Pilgerweg ist der nach Santiago de Compostela. Das war nicht immer so und hat sich in den Jahrhunderten auch immer wieder einmal geändert.

Der Ursprung des Ortes stammt vom lateinischen „peregrinus“, d.h. „in der Fremde sein“. Das bedeutet dann, dass Pilgern etwas Temporäres ist, etwas, wo man nicht bleibt, wo man „Gast“ auf dem Weg ist. Das Wort Pilgern ist gleichbedeutend mit dem Wort Wallfahrt und hat in jedem Fall mit „gehen“ und „unterwegs sein“ zu tun. Im Laufe der Jahre hat sich bei einigen Pilgerschaften eine Änderung dahingehend ergeben, dass des „Prozesses“.

Professor Dr. Martin Rötting spannte einen spannenden Bogen quer durch Religionen und Jahrhunderte.

Nicht nur der Begriff, auch die Bedeutung hat sich verschoben. Zunächst war zumindest im jüdisch-christlichen Bereich Pilgern ein Teil des Tempelkults. Viele Feste gab es früher, zu denen man zum Tempel gepilgert ist und Opfergaben brachte. Das Pilgern zum Tempel galt daher noch als Teil des Opfers, das man zum Tempel brachte, der Tempelkult reichte hinaus bis in die Gesellschaft und die Leute, die losgingen, gehörten ab Beginn ihrer Reise zum Ritual, das sie im Tempel dann vollzogen haben. Dieses Ritual war – wie Rituale immer – eine Vergewisserung, dass man zu einer Gemeinschaft gehört und hat durch das Ziel der Reise (zB. Jerusalem als eine der Hauptreligionsstätten des Judentums)  bezeugt, dass man sich ganz und gar mit dieser Lehre identifiziert. Im Buddhismus war der Ort, an dem Buddha erleuchtet wurde, ebenfalls so ein Ziel für Pilgerreisen, genauso wie Rom für das Christentum.

Pilgern ist nicht Teil eines religiösen Rituals – man muss es nicht tun. Es steht nirgendwo geschrieben, dass man nicht in den Himmel kommt oder die Erleuchtung bekommen, wenn man nicht da gewesen ist.  Pilgern ist eher ein Ritual der Selbstvergewisserung.

Sehr schnell aber wurde Pilgern ein politisches Instrument. Man hat Menschen dazu verpflichtet zu pilgern. Manchmal war das ganz einfach, indem einfach nach einer Beichte eine Pilgerreise zu einem bestimmten Ort als Buße verordnet wurde. Bei den Kreuzzügen ging diese Motivation sogar noch weiter, diese hätten nie funktioniert, wäre der Weg nach Jerusalem nicht schon über Jahrhunderte ein Pilgerweg gewesen.

Am Anfang war aber auch das Pilgern nach Jerusalem eine rein persönliche Sache, man wollte etwas erleben, die Kraft des Ortes verspüren. Pilgern war nie Teil einer Verpflichtung eines Christen. Allerdings wurde dieses Pilgern nach Jerusalem dann instrumentalisiert. Nach der Besetzung durch den Islam wollte man durch die Kreuzzüge die religiösen Stätten vom Islam befreien. Über Jahrhunderte hatte der Islam Jerusalem und Israel besetzt, die Pilgerstätten waren für die Pilger aber immer frei, die Muslime hatten den christlichen Pilgern Geleit gelassen. Es gab kein Problem, diese Pilgerstätten im „heiligen Land“ zu besuchen. Gottesdienste, Kirche und Klöster waren weiterhin erlaubt. Ob diese „Befreiung“ durch die Kreuzzüge wirklich notwendig war, darüber lässt sich streiten. Die Kreuzzüge waren eine rein politische Entscheidung.

Auch der „Jakobsweg“ wurde lange Jahre als anti-muslimischer Pilgerweg angesehen. Etliche Darstellungen auf Kirchen und Bauten am Weg waren (und sind) alles andere als Muslim-freundlich. Der Heilige Jakobus hatte als Beinamen die Bezeichnung „der Maurentöter“. Je stärker der Pilgerweg beworben wurde, umso stärker wollte man damit ein Gebetszeichen gegen den Islam setzen.

Pilgern als Sündenerlass ist bekannt und galt als Teil der gesellschaftlichen oder persönlichen Gewissenserleichterung.

Pilgern ist heute ein Transformationsprozess. Vor allem Menschen in der „Lebensmitte“ machen sich bevorzugt auf diesem Weg. Man hat noch „Saft und Kraft“, gleichzeitig stehen aber Veränderungen an.

Wie hat sich die Wahrnehmung von Pilgern in der Öffentlichkeit verändert?

Im Folgejahr der Hausausgabe des Buches von Harper Kerkeling mit dem Titel „Ich bin dann mal weg“ hat sich die Anzahl der Pilger am Jakobsweg drastisch erhöht. Neben dem Buch über die Pilgerreise des Autors gibt es auch einen Film, der ebenfalls erheblich zur enormen Steigerung der Pilger auf diesem Weg geführt hat. Wobei die Steigerung primär durch deutsche Pilger bewerkstelligt wurde.

In den letzten Jahren verzeichneten auch andere Pilgerwege in Europa und auch darüber hinaus stetige Steigerungsraten, allerdings nicht in dem Ausmaß wie am Jakobsweg.

Die Zeitschrift GEO hat die „Top 10“ der Pilgerwege in einer der Ausgaben vorgestellt – wobei nicht nachvollziehbar ist, wie diese Wertung zustande gekommen ist. Es ist nicht klar, ob die Reihung nach der Frequenz, nach dem Bekanntheitsgrad, nach der religiösen Bedeutung oder ganz anderen Kriterien vorgenommen wurde.

Säkulares Pilgern – gibt es das?

Pilgern ist eigentlich etwas Religiöses. So gesehen kann es dann „säkulares Pilgern“ nicht geben, das wäre in etwa so, wie atheistisches Gott-Glauben. Dennoch gibt es säkulares Pilgern bzw. könnte man darüber nachdenken, dass bestimmte Formen des Pilgern „säkular“ sind.