„Gott nahe zu sein ist mein Glück“ (Psalm 73,28) – Gedanken zur Jahreslosung 2014 von Superintendent Mag. Olivier Dantine

[2014-01-03]

Die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen hat für die Jahreslosung diesmal die Einheitsübersetzung gewählt. Anders als bei andere Übersetzungen wird hier „das Gute“, wie es ganz wörtlich im hebräischen Text heißt, mit „Glück“ übersetzt.
Das trifft womöglich tatsächlich das Lebensgefühl beziehungsweise die Sehnsucht vieler Menschen. Wer möchte nicht gerne glücklich sein? Der König von Bhutan hat das Glück als oberstes Staatsziel ausgerufen, und so wird nun nicht nur das Bruttonationalprodukt, sondern auch das Bruttonationalglück gemessen. Das Streben nach Glück gehört zu den Freiheitsrechten nach der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten.
Nur: Wer definiert, was Glück ist? Kann nur der oder die glücklich sein, der gut aussieht, jung ist, ausreichend Wohlstand hat, keine Geldsorgen? Können schwer behinderte Menschen glücklich sein? Kann ein alter an stark fortgeschrittener Demenz erkrankter Mensch Glück empfinden? Ist ein glückliches Familien- und Eheleben unbedingt verbunden mit Harmonie und Freude? Wenn wir Bilder aus der Werbung ansehen, dann ist es eindeutig, wohin jemand streben sollte, wenn er oder sie nach Glück strebt: Allseits beliebt zu sein, keine Schmerzen haben, ohne Leid und Trauer, fit und beweglich, in einem harmonischen Umfeld, und die Möglichkeit, einen Urlaub im Paradies zu genießen.
Aber Achtung: So einfach ist es mit dem Glück nicht, sagt auch der 73. Psalm einige Verse vor der Jahreslosung. Denn wer hat denn dieses Glück, das eng mit Wohlstand verknüpft ist? „Wahrhaftig, so sind die Frevler: Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum.“ Im Glück sind all jene, die rücksichtslos auf ihren Vorteil aus sind, all jene, die es verstanden haben, ihr Vermögen immer weiter zu vermehren auf Kosten anderer. Es waren zur Zeit des Psalmisten schon diejenigen, die von der Verschuldung der kleinen Bauern profitieren, und die dadurch andere in immer größere Armut bis hin in die Sklaverei treiben. Wer egoistisch handelt, wer die Ellbogen ausgefahren hat, der hat Erfolg, der ist im Glück.
Nebenbei bemerkt: Man sieht hier, dass die Versuchung, das Glück eben nicht in der Gemeinschaft der Gotteskinder zu suchen, sondern im persönlichen Erfolg, im eigenen Fortkommen, die ist keineswegs modern. Das gab es schon in alttestamentlichen Zeiten, nicht erst in unserer so säkularisierten Welt.
Diese Versuchung war da und ist da. Und auch der Beter unseres Psalms verspürt genau diese Versuchung. „Also hielt ich umsonst mein Herz rein und wusch meine Hände in Unschuld“,  betet er im Psalm, und lässt diese Sehnsucht durchblicken: Was bin ich doch dumm, dass ich nicht auch so egoistisch bin, wie viel besser würde es auch mir gehen?
Aber zunächst setzt der Psalmbeter auf etwas anderes. Er klagt. Er klagt zunächst über das Verhalten der Frevler, er klagt auch über den Erfolg dieser Menschen. Er klagt über das Glück, das ausgerechnet denen zuteil wird, die sich so überhaupt nicht an Gottes Gebote halten, die überhaupt keine Rücksicht auf die Mitmenschen nehmen. Und dann klagt er, was dieser Neid auch mit ihm selbst macht, dass dieser Neid ihn in diese Versuchung bringt, sich von Gott abzuwenden.
Die Wende im Psalm geschieht in Gottes Heiligtum. Da angelangt erkennt er die Vergänglichkeit dieses Glückes. Erfolg vergeht, Geld verliert an Wert, Schönheit und Gesundheit verwelken. Gekaufte Freude und gekaufte Freunde schwinden wieder. Die Grundlage für Glück, das bestand hat, liegt woanders: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.“ (Lutherübersetzung)
Gott hält mich bei meiner Hand, Gott leitet mich, Gott nimmt mich an. Das ist die Grundlage für mein Glück. Gott nahe zu sein ist mein Glück, so fasst es der Vers unserer Jahreslosung zusammen. Der hebräische Text formuliert hier ganz bewusst zweideutig: Das Nahen Gottes. Also zum einen unser sich Gott nähern aber auch, dass Gott sich uns nähert.
Das Glück ist also die Beziehung, die Gott uns anbietet. Gegen diese Beziehung, gegen dieses Gott nahe sein, was zählt dann das, was landläufig für Glück gehalten wird, was zählen dann Ansehen und Aussehen, was zählen dann Jugendlichkeit und Gesundheit, was zählt dann das Vermögen? Das Glück in der Nähe Gottes hat bestand und vergeht nicht. Dieses Glück, dass darin besteht, von Gott angenommen zu werden und gehalten zu werden, das wird nicht vergehen.
Mehr noch: Genau dieses Glück kann in Situationen erfahren werden, die landläufig ganz und gar nicht mit Glück in Verbindung gebracht werden. Situationen, die wohl niemand erstrebenswert empfindet:
Niemand wird den Zustand eines schwerst und mehrfach behinderten Kindes erstrebenswert finden. Aber wenn man sich ansieht, wie intensiv solche Kinder auf Berührungen reagieren, wie intensiv sie ihre Umgebung wahrnehmen, wie sie darauf reagieren, berührt, umarmt zu werden, was das für sie bedeutet, angenommen zu werden: der wird auch da von diesem Glück sprechen, das tiefgehend ist.
Niemand wird eine schwere Krankheit anstreben, und die Ängste vor solch schweren Erkrankungen sind nicht von der Hand zu weisen. Aber selbst hier wird man Glück finden können. Immer wieder hört man von Menschen, die in einer schweren Erkrankung lernen, ihre Umgebung viel bewusster wahrzunehmen, die Zeit viel intensiver zu nutzen. Viele erfahren in schweren Krankheiten, wie sehr eine gute und tiefe Freundschaft tragen kann und eben Glück schenken kann, selbst in dieser Situation.
Oder wenn man Bilder sieht  von Menschen mit fortgeschrittener Demenz: Ja, sie verlieren die Möglichkeit, eigenständig zu leben, sie werden tatsächlich wie Kinder, aber sie freuen sich auch wie Kinder, wenn sie zum Beispiel Tiere streicheln.
Und auch das Sterben suchen wir uns nicht aus, und viele würden Sterben wohl nicht mit Glück in Verbindung bringen. Aber glauben Sie mir, dass ich es je länger der Tod meiner Mutter zurückliegt, umso mehr als großes Glück empfinde, bei ihrem Sterben dabei gewesen zu sein. Und ich glaube fest daran, dass sie in dieser extremen Situation kleine Momente des Glückes empfunden hat, etwa wahrgenommen zu haben, dass ihre Lieben um sie waren.
All diese Beispiele zeigen, dass Glück nichts ist, das wir erwarten können, wir können Glück auch nicht erarbeiten. All die Rede vom Glück des Tüchtigen oder davon, dass wir unseres Glückes Schmied seien, die sind Humbug. Glück kann nicht erstrebt werden, auch der König von Bhutan hat keinen Einfluss auf das Bruttonationalglück seines Volkes.
Glück kann nur empfangen werden. Und unser christlicher Glaube sagt, wir empfangen es von Gott. Ihm nahe zu sein ist unser Glück. Das nimmt zum einen den Druck von uns, unbedingt glücklich sein zu müssen, um ein gutes und erfülltes Leben zu führen. Zum anderen führt es zu einer Haltung der Dankbarkeit. Wer das Leben, wer das Gute im Leben, wer das Glück, und sei es noch so unscheinbar, dankbar empfangen kann, der wird gelassen leben können, und vielleicht tatsächlich glücklich.

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