[12.07.2021]
Bei der Redaktionssitzung zu diesem Gemeindebrief entwickelte sich eine durchaus lebhafte und spannende Diskussion zu den Begriffen „Solidarität“ und „Mitgefühl“. Zwei Begriffe, die viel verbindet, die aber doch auch Einiges unterscheidet.
In beiden findet sich der zentrale christliche Aspekt des „Aufeinander-achtens“. Christsein bedeutet immer auch, sich dem Nächsten zuzuwenden. Aber wie man das „tut“, darin unterscheiden sich die Begriffe. Während in der „Solidarität “ ganz klar die Handlungsaufforderung enthalten ist, aktiv zu werden, sich gegen Ungerechtigkeit und für den Nächsten einzusetzen, bedeutet „Mitgefühl“ die Fähigkeit zur Empathie, die nicht davon abhängig ist, ob diese Empathie auch in konkrete Handlungen mündet. Es ist einfach da, man kann sich dessen nicht erwehren. Der Zwiespalt beginnt dort, wo den einen „nur Mitgefühl“ zu wenig ist, für die anderen aber permanenter Druck entsteht, immer und sofort für alles eine Lösung haben und diese auch umsetzen zu müssen.

Ein guter Freund hat einmal gesagt: „Man kann nicht die ganze Welt retten. “ Ein harter Gedanke für alle, die aus Mitgefühl gerne helfen möchten, also tätige Solidarität üben wollen.
Ein befreiender Gedanke, wenn einem das Leid der Welt über den Kopf zu wachsen droht und man ersticken möchte an der Hoffnungslosigkeit und dem Gefühl, dass sich die Welt nie ändern wird.
Vielleicht aber auch ein gefährlicher Gedanke, wenn er als Ausrede dient, nichts tun zu müssen oder zu wollen.
Was also tun mit diesem Dilemma?
Beim Nachdenken darüber, was ich mit diesem Thema anfangen kann, wie ich es in einen Text hineinpacken kann, ist mir ein berühmtes Gedicht eingefallen, das irgendwie zu diesem Thema passt, nämlich Erich Frieds „Es ist was es ist“:
Es ist Unsinn
Sagt die Vernunft
Es ist was es ist
Sagt die Liebe
Es ist Unglück
Sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
Sagt die Angst
Es ist aussichtslos
Sagt die Einsicht
Es ist was es ist
Sagt die Liebe
Es ist lächerlich
Sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
Sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
Sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
Sagt die Liebe
Dieses Gedicht stammt aus einem Band mit Liebesgedichten, aber eigentlich kann man es auch gut auf unser Thema anwenden.
Ob man nun Solidarität üben oder nur Mitgefühl haben will, wenn man möchte, finden sich immer Sichtweisen, die einem vermitteln könnten, dass es „eh keinen Sinn hat“ und dass man besser die Finger davon lassen sollte. Ob das nun die Sicht der Vernunft, des Schmerzes oder was auch immer ist.
Wie herrlich befreiend aber wirkt die immer gleiche Antwort der Liebe: Es ist was es ist.
Sorge dich nicht so sehr um richtig oder falsch, besser oder schlechter. Geh dem nach, wozu dein Herz dich treibt. Denn Liebe ist es letztlich immer, ob man nun solidarisch anpackt oder im Mitgefühl Anteil nimmt. Lass es dir nicht ausreden, egal, „was es ist“. Aber gib Acht auf die vielen Ausreden, die man dir einreden könnte. Entscheide selber.
Erich Fried wäre heuer übrigens 100 Jahre alt geworden und auch wenn (oder gerade weil) er ein Atheist war, ist er lesenswert. Denn in seiner Solidarität und seinem Mitgefühl für alle Menschen war und ist sein Werk außergewöhnlich und mit Sicherheit christlicher als so Manches, was den Namen christlich heute vor sich her – und stolz zur Schau – trägt.
Hartmut Schwaiger