Die Zeit der Schmetterlinge

[05.04.2021]

Auf der Unterseite einer kleinen Seidenpflanze waren sie, viele Stecknadel kopfgroße Eier, die sich langsam zu bewegen begannen. Plötzlich begann sich in ihnen etwas zu rühren, bis schließlich das erste Ei aufplatzte und die anderen bis zum letzten sich endlich öffneten. Nun krochen sie heraus: lauter kleine, graue Raupen, die zum ersten Mal das Tageslicht erblickten. Sie sahen einander an und waren ängstlich und etwas entsetzt darüber, wie hässlich sie doch waren. Da sie alle Larven waren, hatten sie schrecklichen Hunger und machten sich auf den Weg zu den saftigen Seidenpflanzenblättern und fingen an zu fressen. Doch während sie das Grün der Pflanzen verschlagen, sahen sie über sich riesige Schwärme von wunderschönen Schmetterlingen davonfliegen, und die Pracht all der flatternden orangebraunen Flügel überwältigte sie. Ach, wie gerne wollten sie genau so aussehen und nicht so grässlich wie sie selbst!

Eine Raupe, die noch trauriger aussah als die anderen, brach in Tränen aus. „Ach, wie hässlich wir doch alle sind! Wieso kann ich nicht so aussehen wie diese wunderbaren Schmetterlinge! Wie herrlich und schön sie sind! Alle anderen Geschöpfe der Erde müssen sie beneiden“, jammerte sie. „Sei nicht so streng mit dir“, sagte eine Stimme „Warum bist du nur so traurig? Du bist mit dem Leben gesegnet, das dir geschenkt wurde. Sei dankbar dafür, und versuche, jeden Augenblick deines Daseins zu nutzen, um glücklich zu sein und verschwende nicht deine Zeit damit, zu versuchen, etwas zu sein, das du nicht bist. „Wer bist du?“ fragte die Raupe „Sieh nach oben, ich bin der Mond“, antwortete dieser.

„Besteht denn mein ganzes Leben nur darin zu fressen, um noch dicker zu werden? Der Mond lächelte und sagte zu ihr: “Lass dich doch überraschen und genieße es doch, wer weiß, ob das Leben nicht noch eine Überraschung für Dich hat? Du wirst sehen, dass du dein Leben in vollen Zügen genießen sollst, sei doch froh, es hat dich noch kein Vogel entdeckt. Die Sonne scheint und das Gras duftet herrlich, hab einfach ein wenig Geduld.“

In den nächsten Wochen fraß die Raupe ohne Pause, bis sie zweitausendmal so viel wog wie zuvor. Sie wuchs so schnell, dass sie alle paar Tage ihre Haut erneuern musste. Doch hübscher war sie nicht geworden. ,Der Mond kann leicht reden, wenn er sagt, ich soll jeden Moment meines unbedeutenden Lebens genießen“, dachte sie, ,Wie soll das gehen, wenn man so aussieht wie ich?“

Der Mond aber hörte ihre Gedanken und sprach: „Liebe Raupe, das wichtigste, das du besitzt, ist das Licht und die Liebe in dir und nicht, wie du von außen wahrgenommen wirst.“

Die kleine Raupe konnte die Blumen, den warmen Wind, die Sonne und die wunderschönen Farben des Frühlings aber trotzdem nicht genießen. Und ließ ihren Kopf hängen.

Ein paar Tage später wurde die Raupe unruhig, ihre Haut begann hart zu werden. Sie verspürte den Drang, sich einen geschützten Platz über dem Boden zu suchen, bevor sie sich nicht mehr bewegen konnte. Sie fand einen und drehte sich auf den Rücken, streifte zum letzten Mal ihre Haut ab und fing an, sich mit einem Seidenfaden einzuspinnen und bekam eine harte Schale. Die Metamorphose hatte begonnen.

Nach 2 Wochen hatte sich in der Puppe der kleinen Raupe einiges getan und schließlich war das hässliche gefräßige Tier bereit, als strahlender nektartrinkender Monarchfalter zu schlüpfen. Der Mond freute sich für die Raupe, aber er ermahnte sie auch: „Meine liebe Freundin, nun wirst du endlich zu dem, wozu du immer schon bestimmt warst. Schade nur, dass du im ersten Teil deines Lebens nicht gelernt hast dich so zu lieben, wie du bist, das Leben zu feiern und zu genießen. Jetzt wirst du zum wundervollen Schmetterling und du wirst erkennen, wie kostbar das Leben ist!“

Am nächsten Morgen war es schließlich so weit. Die Raupe erwachte und konnte es kaum glauben, was passiert war. Sie wartete, bis die Sonne ihre Flügel aufpumpte und sie hart wurden. Schließlich fühlte sie sich stark genug, um loszufliegen.

Nun war sie endlich glücklich und dachte über die letzten Worte des Mondes nach: .Eigentlich hatte er recht. Ich hätte mich schon vorher selbst akzeptieren sollen und mich nicht immer mit den anderen vergleichen. Denn ich bin ich und ich war vorher schon schön!“

Tja, auch Gott hat mit dir etwas vor und auch wenn wir nicht perfekt sind und wir unseren Weg im Leben finden müssen, findet er uns genauso, wie wir sind, perfekt und richtig, wir müssen nur lernen es auch anzunehmen und mit etwas Geduld uns vom Leben überraschen zu lassen 😉

Yvonne Ennsmann
(Nach der gleichnamigen Geschichte von Sergio Bamberen im Buch „Die Zeit der Sternschnuppen“)