„Freud und Wonne“ – vom „Singen und Sagen“

[22.12.2021]

Gibt’s das noch? Dass am Heiligen Abend nicht nur Musik aus der Konserve kommt, nicht nur amerikanische Weihnachtsschlager unsere Wohnzimmer erfüllen, sondern auch unsere Stimmen? Gibt’s das noch, dass miteinander gesungen wird?

Ich hoffe schon, und vielleicht ist der Heilige Abend ja sogar der einzige Anlass im ganzen Jahr, an dem wir das wagen. Ist das nicht eine schöne Bedeutung von Weihnachten: Dass wir uns plötzlich etwas trauen, das wir sonst für ganz und gar unmöglich halten? So wie der Weihnachtsfriede vielleicht doch ausbrechen kann, der sonst ganz und gar unmöglich scheint.

Der Grund dafür ist, dass sich im Jesuskind das ereignet hat, was eigentlich ganz und gar unmöglich ist: Der Schöpfer aller Dinge, der größer ist als alles, was wir uns vorstellen können, liegt als kleines Kind in einem Futtertrog. Das ist die Kernbotschaft, die Martin Luther in eines der heute noch bekanntesten Weihnachtslieder gegossen hat: „Vom Himmel hoch“ (EG 24). Text und Melodie stammen vom Reformator selbst:

9. Ach Herr, du Schöpfer aller Ding, wie bist du worden so gering,
dass du da liegst auf dürrem Gras, davon ein Rind und Esel aß!

10. Und wär die Welt vielmal so weit, von Edelstein und Gold bereit’,
so wär sie doch dir viel zu klein,
zu sein ein enges Wiegelein.

11. Der Sammet und die Seiden dein, das ist grob Heu und Windelein,
darauf du König groß und reich herprangst, als wär’s dein Himmelreich.

Selbst wenn die Welt viele Mal so groß wäre wie sie ist, so wäre sie doch immer noch viel zu klein für den großen Gott, er könnte nicht wie in einer Wiege in ihr liegen, sagt Luther. Und doch ist das Unmögliche möglich: Der Schöpfer aller Dinge macht sich selbst so klein, dass er in dem Futtertrog liegt, aus dem vorher Rind und Esel gefressen haben. Samt und Seide, in die sich ein König kleidet, sind hier grobes Heu und Windeln. Aber in ihnen strahlt das Wesen eines Königs auf, dessen Reich nach anderen Maßstäben regiert wird, als dies die Könige dieser Welt tun.

Wie aktuell: Mit Grausen erleben wir in den vergangenen Wochen und Monaten, wie eine Politikerkaste meint, sich dieses Land unter den Nagel reißen zu können, mit welchen verabscheuungswürdigen moralischen Haltungen (unabhängig von jeder strafrechtlichen Relevanz) die Machtgier Menschen bestimmt.

Was ist die Konsequenz daraus, dass zu Weihnachten das Unmögliche möglich wird?

12. Das hat also gefallen dir,
die Wahrheit anzuzeigen mir,
wie aller Welt Macht, Ehr und Gut vor dir nichts gilt, nichts hilft noch tut.

13. Ach mein herzliebes Jesulein, mach dir ein rein sanft Bettelein, zu ruhen in meins Herzens Schrein, dass ich nimmer vergesse dein.

Macht, Ehre und Güter der ganzen Welt gelten nichts vor dem, der das letzte Wort haben wird. Die Erinnerung daran hat unsere vergessliche Seele ständig nötig. Darum kommen die Boten des Himmels auch zu uns, so beginnt ja das Lied:

1. »Vom Himmel hoch da komm ich her, ich bring euch gute neue Mär;
der guten Mär bring ich so viel,
davon ich singn und sagen will.

2. Euch ist ein Kindlein heut geborn von einer Jungfrau auserkorn,
ein Kindelein so zart und fein,
das soll eu’r Freud und Wonne sein.“

Bild von Karin Landwehr

Die „Mär“ ist allerdings kein Märchen, keine schöne Weihnachtsgeschichte, die man vorliest und dann ist Weihnachten wieder vorbei. Die „Mär“ ist in der Sprache des 16. Jh. die Nachricht, die der Bote verbreitet, in unserer Zeit vielleicht ein „Tweet“, aber eben keine Fake News, sondern die Nachricht, von der der Bote singt und sie uns damit so sagt, dass sie uns selber verändert:

3. Es ist der Herr Christ, unser Gott, der will euch führn aus aller Not,
er will eu’r Heiland selber sein,
von allen Sünden machen rein.

4. Er bringt euch alle Seligkeit, die Gott der Vater hat bereit’, dass ihr mit uns im Himmelreich sollt leben nun und ewiglich.

„Mit uns“, also mit den Engeln im Himmel, sollen die Menschen von nun an leben. Wir werden eingeladen, uns auf den Weg zu machen wie die Hirten und uns verwandeln zu lassen: Wo sind von jetzt an meine Prioritäten? Nach welchen Maßstäben will ich von jetzt an leben?

Den Anfang dabei macht aber die Freude! Nicht der erhobene Zeigefinger, nicht die Drohung, sondern das verwandelte Herz:

14. Davon ich allzeit fröhlich sei, zu springen, singen immer frei das rechte Susaninne* schön, mit Herzenslust den süßen Ton.
* Wiegenlied

Diese Freude im Herzen beim Singen am heurigen Heiligen Abend wünscht euch

Peter Pröglhöf