Nähe und Distanz (4/7)

[24.06.2020]

Nähe und Distanz, diesen Titel haben wir im Redaktionsteam für den Gemeindebrief ausgewählt. Auf den folgenden Seiten stellen wir verschiedene Aspekte dieses Themas dar! Viel Freude und vielleicht auch die eine oder andere Anregung beim Lesen!

So nah und doch so fern

Wer hätte das 2019 gedacht: Deutschland liegt einen Steinwurf von uns entfernt und trotzdem ist es uns nicht mehr möglich dort hinzukommen. Wie so viele in unserer Gemeinde bin ich in Deutschland geboren und auch dort aufgewachsen. Fast alle Verwandten und viele Freunde leben dort, und wir können sie nicht besuchen. (So ein Gefühl muss es doch für die Menschen in der ehemaligen DDR gewesen sein). Auch wenn mir Österreicher vermitteln: „Meine Eltern wohnen im Dorf und ich kann sie auch nicht besuchen“, glaube ich, dass unsere Distanz noch ein wenig anders ist.

Unsere Mama, 72 Jahre, lebt allein. Sie hat das Glück sehr vielen Hobbies nachzugehen: Klöppeln, Stricken, Malen, Musik hören, auf ihrer Terrasse garteln und raus in die Natur gehen. Per Pedes oder mit dem Rad. Ab und an mal geht sie mit einer Freundin, mit Abstand, eine gemeinsame Radtour unternehmen. Das ist zurzeit ihr einziger Kontakt.

Mitte April hatte sie ihren Geburtstag, an dem ich sie besuchen wollte. Für mich war der Gedanke schrecklich, zu wissen: Sie muss ihren Ehrentag alleine feiern. So kam uns die Idee ein Geburtstags-Zoom im Kreise der Familie zu starten. Es war einfach nur schön, die liebe Verwandtschaft zu sehen. Wir haben geplaudert, mit Sekt angestoßen, gesungen und natürlich wurde über die momentane Situation gesprochen, wie jeder jetzt so lebt und wie vor allem die jungen Familien mit ihren kleinen Kindern Homeoffice und Kinderbetreuung unter einen Hut bekommen. Eine riesige Herausforderung für Kinder und Eltern. Für so Kleine bedeutet es ja eine Ewigkeit, wenn sie ihre geliebten Spielkameraden im Kindergarten oder auf dem Spielplatz nicht sehen dürfen. Nur die Eltern um sich herum zu haben, ich glaube, das war die ersten zwei Wochen toll für die Kinder, da es noch etwas Besonderes war.

Auch meine Patentante und ihr Mann Paul, 91 Jahre, haben sich in Selbstisolation begeben. An Ostern wurde dann doch eine Ausnahme gemacht. Die Enkelkinder und Kinder suchten im Garten von Oma und Opa Ostereier. Danach durften sie mit Opa Pauls Dreirad fahren und haben somit den Abstand wahren können. Für Opa Paul und meine Patentante hat dieser kleine Kontakt, mit Abstand, total viel bedeutet. Paul hat uns in unserer Familien-Whats-App-Gruppe folgendes mitgeteilt: „Es war schön mit den Kindern! Wir hatten Abstand und doch Nähe“. Jetzt geht es noch ein bisschen weiter weg. Eine Cousine lebt mit ihrem Mann in Israel, und sie haben Anfang April ein kleines Mädchen bekommen. Es war angedacht, dass die Oma die junge Familie in den ersten Wochen unterstützt. Kurz vor dem Abflug hat Israel seine Grenzen dicht gemacht. Kürzlich nach einemTelefonat mit der stolzen Oma hat sie mir erzählt, dass sie mit Whats-App ihr kleines Enkelkind gesehen hat und es hat schon der Oma ein kleines Lächeln geschenkt. Eigentlich nicht möglich, wenn man bedenkt, dass die Kleine zehn Tage alt war. Aber diese klitzekleine Emotion bedeutete meiner Tante sehr viel. Dann hat sie noch gesagt, es kann sein, dass sie ihre Enkelin erst zu Weihnachten sieht. Da blieb bei mir endgültig ein Kloß im Halse stecken. Ich habe mich gefragt, was geht wohl in der jungen Oma vor. Ist es nicht schrecklich seine erste Enkelin nach einem 3/4 Jahr zu sehen? Sie hat sich wohl mit der Situation abgefunden.

Ich glaube, alle unsere Familien haben mittlerweile ihre Möglichkeiten geschaffen, um sich in der Ferne doch mal näher zu kommen. Auch ich habe mir bereits mein Ohr wund telefoniert. Trotzdem ist es für mich etwas ganz anderes sich über Skype, Whats-App, Zoom etc. auszutauschen – und so langsam gibt mir das Telefonieren auch nicht mehr viel. Der Hörer wird aufgelegt – und dann ist wieder Funkstille.

Auch von zu Hause gibt es eine kleine Anekdote zu erzählen, die mein Herz ganz besonders berührt hat. Unsere Nachbarin Christina, drei Jahre, spricht mich über den Gartenzaun an: „Karin, wenn Corona vorbei ist, dann darf ich dich wieder in eurem Haus besuchen und dann kuscheln wir.“ Was sich da im Kopf einer Dreijährigen so abspielt? Sie muss ja erfasst haben, dass momentan das Leben anders verläuft als üblich, aber versteht sie es auch? Ich fühle mich in so einer Situation nur schlecht. Das passt gar nicht, jemanden abzuweisen und nicht herzlich ins Haus einzuladen.

Manchmal könnte ich schreien und heulen zugleich! Ich würde endlich am liebsten aus diesem bedrückenden Traum erwachen! Wenn der ganze Spuk dann hoffentlich etwas gelockert wird, und wir wieder nach Deutschland reisen können, dann werde ich sicherlich all meine Lieben ganz fest in den Arm nehmen und sie drücken. Ich glaube, ich werde so viele Tränen vergießen – aber dieses Mal Freudentränen, wie ich sie wahrscheinlich noch nie habe fließen lassen. Die Vorfreude darauf ist riesengroß, auch wenn das Wiedersehensdatum gefühlt immer weiter in die Ferne rückt.

So, jetzt muss ich zum Ende kommen, denn es findet gleich die nächste Zoom- Stunde statt: Bauch-Bein-Po von einer meiner Tanten angeleitet. Ich möchte am Anfang gleich dabei sein, denn das ist die Chance, Cousine, Tanten und Mama zu sehen und zu hören. Danach müssen wir Ton und Bild abdrehen. Zum Abschluss muss ich noch ehrlicherweise zugeben, gäbe es Corona nicht, würden wir nicht solche Zoomaktionen starten, und dann hätten wir uns auch nicht früher gesehen, sondern würden erst zu Weihnachten im großen Familienkreis zusammenkommen und hoffentlich im kleineren Familienkreis etwas früher – und das ist mein großer Wunsch für 2020.

Karin Landwehr