Angst und Vertrauen (5/6)

[27.09.2020]

…des Lebens Ruf an uns wird niemals enden

Das Gedicht „Stufen“ ist wohl eines der schönsten von Hermann Hesse, vielleicht eines der schönsten, die die deutschsprachige Literatur hervorgebracht hat:

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

in andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,

der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf ́ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewohnheit sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Das Thema des aktuellen Gemeindebriefs ist „Angst und Vertrauen“. Und genau diese beiden Begriffe lassen sich durchaus im Sinne der Lebensstufen von Hesse deuten: Die Angst ist es, die uns oft auf einer Stufe verharren oder gar eine oder mehrere Stufen rückwärts gehen lässt. Umgekehrt ist das Vertrauen die Basis dafür, den Aufbruch zu wagen, dem heimischen, gewohnten Lebenskreis zu entsagen und vertrauensvoll die nächste Stufe zu erklimmen, die das Leben für uns bereithält. Wobei uns der Gedanke, dass „Heimat“ in diesem Gedicht eher Stillstand bedeutet, zunächst vielleicht befremden mag. Aber es ist schon was dran, an diesem Gedanken, dass Neues nur durch das Hinter-sich-Lassen von Gewohntem entstehen und entdeckt werden kann.

Ein Mensch, der vertraut, geht die Wege, die ihm das Leben eröffnet. Ein Mensch, der Angst hat, geht oftmals nur dorthin, wo er schon war oder wo er eben gerade ist. Also zurück auf jene Stufen, die er bereits betreten hat.

„Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen“
sagt Hesse und spricht damit ein Wort aus, das uns Vertrauen geben soll. Naheliegend als gläubiger Mensch, sich unter diesem Weltgeist eine göttliche Kraft vorzustellen. Einen Gott, der uns nicht einengen will, sondern

„Stuf um Stufe heben, weiten“
der unser Begleiter ist und uns Mut macht zur Weiterentwicklung, ohne Angst vor Fehlern und Versagen.
Und jeder, der sich mit der Lehre Jesu beschäftigt, wird wohl beim Schluss des Gedichts an das Versprechen des ewigen Lebens denken:
„Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde, Uns neuen Räumen jung entgegensenden, Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…“

Wie sehr der weltoffene und an anderen Religionen interessierte Hesse bei diesen Worten an die Lehre des ewigen Lebens im Christentum gedacht hat, können wir nicht wissen, aber es kann uns letzten Endes auch völlig egal sein. Denn die Worte stehen für sich, fern jedes theologischen Streits, einfach als Ausdruck menschlichen Vertrauens in die Sinnhaftigkeit und Schönheit des Lebens, das uns geschenkt wurde.

Und wenn in dem Wörtchen „vielleicht“ auch noch ein wenig der Zweifel Platz findet, so ist die gleich darauf folgende Aussage:
„des Lebens Ruf an uns wird niemals enden“
umso zuversichtlicher. Sie nimmt uns die Angst, die uns von Zeit zu Zeit zu beschleichen droht und gibt uns tiefes Vertrauen in unser Leben…was immer kommen mag.

Hartmut Schwaiger

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