(5) Wie gehen wir mit Konflikten um?

[Online ab: 29.03.2023 10:00 | Letzte Änderung: 20.10.2023 12:04]

Beim letzten Abend der Fastenaktion 2023 referierte der Konfliktforscher Univ.-Prof. Dr.Dr.h.c. Friedrich Glasl aus Salzburg im Pfarrsaal in Oberalm, wobei die Fastenaktion neben der HTL beim ersten Vortrag auch beim letzten Abend erstmals den Radius der Veranstaltungsorte erweiterte.

Unter dem Haupttitel „Konfliktfähigkeit lernen“ ging es dem Referenten im übervollen Pfarrsaal um die Frage, wie man zu Frieden kommen oder – besser – diesen bewahren kann um „Wissen erlangen, Haltung entwickeln und Methoden erüben“.

Nachstehend die Tonaufnahme des Vortrages (56 Minuten).

Der Referent war so freundlich und hat uns auch seine Powerpoint-Folien überlassen, die das Nachlesen deutlich einfacher und verständlicher machen. Anzumerken ist dabei, dass die Folien inhaltlich umfangreicher sind als das im Vortrag zeitlich „abzuarbeiten“ gewesen wäre.

Glasl_Oberalm

 

„Wissen erlangen, Haltung entwickeln, Methoden erüben“

(„Fast“-Originaltext des Vortrages / Es gilt das gesprochene Wort * mit einem Klick in ein Bild wird dieses in Originalgröße aufgerufen)

Ich habe „Wissen erlangen, Haltung entwickeln, Methode üben“ als Thema gewählt. Das heißt Kopf, Herz und Hand. Und auf die kommt es an. Nicht nur, dass ich Techniken beherrsche – die kann man ja trainieren, lesen usw. oder sich Videofilme anschauen. Haltung allein genügt auch nicht, um dann wirklich aktiv zu werden da, wo ein Konflikt ist, etwas befriedend einzuwirken. Und es genügt auch nicht das Wissen. Die drei Teile müssen zusammen kommen. Aber wenn die Haltung nicht das Ganze trägt, ist Wissen und Können nicht wirksam.

Gleich zu Beginn möchte ich klarstellen: Das Wort Konflikt wird oft inflationär gebraucht gebraucht. Wenn irgendwie zwischen Koalitionsparteien Differenzen sind, steht dann gleich Streit über das und das und oder ein  Konflikt? Und mir ist wichtig, den Unterschied zu machen zwischen Differenzen, unterschiedlichen Ideen, Meinungen, religiösen Auffassungen, Zielen, Werten usw. und Sichtweisen und Konflikten.

Es kommt darauf an, wie wir mit Konflikten umgehen

Die Tatsache, dass Menschen unterschiedliche Ansichten, Sichtweisen, Ziele, Werte, Ideen verfolgen usw., das an sich ist noch nicht der Konflikt. Es kommt darauf an, wie jetzt die Menschen, die die eine oder andere Position vertreten, wie diese mit der Differenz umgehen. Ob sie das ertragen, dass jemand eine andere Auffassung hat, andere Ziele verfolgt und das dann unterdrücken oder bekämpfen oder mit Feuer und Schwert versuchen zu missionieren, aber mit Gewalt. Oder ob sie sagen „Aha, du siehst das anders oder du verfolgst andere Ziele und Interessen. Das ist ja eigentlich eine Ergänzung oder Bereicherung zu meiner vielleicht eingeschränkten Sichtweise.“ Also, Differenzen an sich sind eine Ressource.

Demokratie steht dafür, dass wir mit Differenzen konstruktiv umgehen und nicht ein Einparteiensystem haben, wie in der DDR, die daran gescheitert ist. Also es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Und dieses „wie wir damit umgehen“, hängt mit dem Thema heute zusammen. Also wie konfliktfähig bin ich und gelingt es mir so mit Differenzen umzugehen, dass die sich als Bereicherung, als Resource erweisen?

Ich möchte einiges zu „Wissen“ und zum „Verstehen“ bringen. Welche Dynamiken spielen denn dann in Menschen? Ich fange erst beim Individuum an, dann zwischen den Menschen.

Zum Konflikt, zum sozialen Konflikt gehören immer wenigstens zwei oder mehr. Einen innerseelischen Konflikt kann ich mit mir allein haben, aber ein sozialer Konflikt braucht zwei oder mehr. Und dann also zu dem, was das Wissen betrifft, geschärfte Wahrnehmungsfähigkeit, zu wissen, was sehe ich jetzt? Wie verstehe ich das? Was macht das mit den Menschen? Und dann – nur ganz kurz angedeutet – natürlich bei der Haltung die ganze Frage, wenn es dann sehr emotional heiß oder emotional kalt zugeht. Man kann nämlich auch enorme negative Emotionen haben. Aber die Stimmung, die unten oder in die Magengegend drückt, da kommen Magengeschwüre und so, aber Emotionen sind Energie und wenn sie nicht rauskommen und dem anderen einen Schlag versetzen, dann wirken sie zurück auf die Person, die mit den negativen Gefühlen nicht gut umgeht und sie vielleicht unterdrückt oder abspaltet, auf andere projiziert usw. Also wie gehe ich mit eigenen Emotionen und mit fremden Emotionen um?

Und dann natürlich auch, ist mir selber klar, worauf es mir ankommt und noch dazu, worauf es meinem Gegenüber ankommt? Verstehe ich das? Ich habe hier das Wort „verstehen der Konflikt-Dynamiken“. Sie wissen, es gibt seit neuestem ein Schimpfwort „Versteher“, „Putinversteher“ zum Beispiel. Und das macht mich innerlich wütend. Ich denke, jemanden zu verstehen kann nicht schlecht sein. Das heißt ja nicht, dass ich einverstanden bin mit dem, was er tut. Aber ich kann in keinem Konflikt konstruktiv was tun, wenn ich nicht wirklich verstehe. Auch den schlimmsten Feind verstehe, wieso der so tut.

Und dann kommt ein ganz wichtiger Punkt. Manchmal kommt es darauf an, dass ich also kurzfristig und nicht auch schon im Bewusstsein zu haben, wie wirkt sich das aus? Und ich komme auf den Punkt noch einmal, wenn ich auch einen kurzen Ausflug in die Neuro-Physiologie mache.

Verantwortung übernehmen

Und ja, die ganze Frage „Bin ich bereit und fähig Verantwortung zu übernehmen für das, was ich denke, was ich tue usw., auch was ich unterlasse?“ Und dann geht es bei „Fähigkeiten Fertigkeiten“ darum, immerhin ganz elementare Methoden zu beherrschen, nicht nur zu kennen, sondern anwenden zu können, eine gewisse Fertigkeit zu haben. Welche das sind, will ich Ihnen dann auch näher erläutern, wenn ich den Blick auf das Intrapsychische werfe. Bei dem Ganzen geht es um die Person. Wer bin ich? Wer will ich sein? Womit ich ringe Ich in mir? Habe ich da wirklich einen ungetrübten Blick auf mich selber? Selbsterkenntnis, das ist Voraussetzung für das, worauf es bei der ganzen Konfliktarbeit ankommt, nämlich eine Steuerung meines Denkens, Fühlens, Wollens, Handelns aus meinem Ich, aus meinem Selbst heraus und nicht getrieben, gesteuert von bestimmten psychologischen Mechanismen.

Und das ist für sowohl vorbeugendes, präventives wie kuratives Handeln, das heißt, der Konflikt ist schon eskaliert, macht Menschen schon zu schaffen und es ist möglich, da zu heilen, kurativ zu wirken, zu sanieren, Konflikte zu lösen. Wir machen einen kurzen Ausflug in die Hirnforschung, und zwar, weil ich später immer wieder auf bestimmte Begriffe zurückkommen will und muss. Vom „Mandelkern“ (Mygdala) gehen in die anderen Gehirnbereiche wichtige Impulse aus durch Botenstoffe, die auch so komplizierte Namen haben. Und dann haben wir hier in den präfrontalen Kortex usw. (siehe Folie).

Und jetzt ist mir eines ganz wichtig. Wenn mir etwas angetan wird, Schmerz zugefügt zum Beispiel. Oder ich werde gekränkt, beleidigt, unfair, ungerecht behandelt, dann ist das der „Input“. Also das kommt in mich rein. Ja, dann ist das Allererste, das es in Sekundenbruchteilen auf den Mandelkern sofort sich auswirkt und dort weitere Dinge angestoßen, angeregt werden. Das Epizentrum im Hypothalamus, das wirkt wieder verstärkend zurück. Und schlussendlich, wenn es den Hirnstamm erreicht hat, dann heißt das so was wie „tu was“, „mach was“! Dann gibt es einen Output, eine „Äußerung“. Das sind die Innerungen und dann sind das die Äußerungen. Und da ist dann so, dass alle Menschen, das wage ich zu generalisieren, egal ob das ein Bettler oder ein Papst ist oder sonstiger Würdenträger, dass die Neigung zu drei Modalitäten oder Modi aufkommt, entweder Kampfmodus oder der Fluchtmodus, oder blockiert, Paralyse eingefroren oder totstellen. Also Kampfmodus, Fluchtmodus oder blockiert. Sie kennen auch die Schockstarre, ein paar Sekunden und dann fängt man sich und dann kommt vielleicht Kampf oder Flucht. Das, was ich Ihnen jetzt nur ganz, ganz schematisch angedeutet habe, ist nur die halbe Wahrheit. Darum ist es das halbe Bild. Die obere Hälfte ist nämlich so, wenn jetzt diese Triebe aus dem unteren limbischen System kommen, ist die Frage „bin ich diesen ausgeliefert“? Steuern die dann, dass ich jetzt tatsächlich drauflos schlage oder brülle oder irgendwas tu oder schnell die Flucht ergreife, das Thema meide, die Person meide. Das sind alles Flucht – Verhaltensweisen oder wirklich nichts tun kann nix höre, nichts sehe, zur Salzsäule erstarrt bin. Also bestimmt, dass diese aus von unten aus dem limbischen System kommenden Triebe, die Triebhaftigkeit oder da kann ich gegensteuern und und zwar jetzt. Und das ist wichtig

Es gibt ein „Ich“

Die Gegensteuerung ist keine Aktion des Gehirns, sondern des geistigen Kerns eines Menschen, seines Ich, seiner selbst. Es bedient sich des Gehirns, aber das Gehirn produziert nicht den Gegenstrom. Da braucht es ein ich, dass dann diese Zentren aktiviert. Aber materialistische Naturwissenschaft meint, das ist alles in der Gehirnstruktur vorgegeben. Nein, es gibt ein Ich, es gibt das Selbst, da ist der geistige Kern des Menschen. Und jetzt ist es so, diese, wenn diese Bottom abläuft, das, was von unten kommt, wenn das so wahrgenommen wird, dann kann das Ich gegensteuern, indem es sich dieser Ressourcen, die im präfrontalen Kortex gelagert sind, aber es sind Dinge, die verfügbar sind, wenn das Ich sie aktiviert. Und da ist es so, der singuläre Kortex, das heißt, der Bereich wo die linke und die rechte Gehirnhälfte einander nahe kommen. Und damit sind wir ein Ganzes, dass wir keine Halbheiten machen, sondern wirklich als ich selbst aus unserem Ganzen heraus jetzt ergehen. Und dann können wir uns bedienen, unserer Erfahrung, unserer Erziehung, unserer Selbsterziehung, unserer Frucht, unserer geistigen seelischen Entwicklung durch Gebet, Meditation, Selbsterziehung usw.

Ich habe vorhin gesagt, Folgen antizipieren, ist eine der ganz wichtigen Funktionen des Ich, des Selbst, nämlich dass wir in der Lage sind, uns vorzustellen, ich fange jetzt zu brüllen und zu schlagen an, was ist die direkte Wirkung, was ist kurze Zeit danach unter Umständen die Folge? Was ist die mittel-, was ist die langfristige Wirkung, wenn ich mich da nicht beherrsche und ich sage „Hör auf“! Das heißt, ich kann antizipieren und dieses antizipieren können, das ist wichtig. Und ich muss Ihnen gleich sagen, wenn Sie auf politische Entscheider in Konflikten in Kriegen schauen, dann merken Sie, dass diese Fähigkeit immer mehr und mehr verringert wird. Schrumpft der Zeithorizont, den Sie sich überhaupt vorstellen können, in dem sie Handlungen planen, konzipieren wird immer kürzer und kürzer. Wie viel ist in meinem Umfeld, wie weit ist mein Gesichtsfeld? Auch das schrumpft immer mehr und mehr. Das ist alles durchgetestet.

Dieses antizipieren können, das führt dazu, das heißt, nein, nicht darauf losagieren, Gewalt anzuwenden oder was auch immer, oder verletzende Dinge jemandem ins Gesicht zu schlagen, das passt nicht zu meinem Werteverständnis. Das ist nicht mein Selbstbild als meinetwegen religiöser Mensch oder einfach zivilisierter Mensch, kultivierter Mensch. Deswegen tue ich es nicht. Und das versetzt uns in die Lage, jetzt auf das, was unmittelbar triebhaft an Handlungsimpulsen da ist, jetzt zu steuern. Zum Beispiel, indem die Aggression abgeleitet wird über Tennisschläger oder Squash oder irgendwas, damit die Kraft nach außen kann. Oder dass ich eben über sportliche Ereignisse, die Spannungen zwischen Völkern oder Gemeinschaften sind dann ausagieren lasse und dann geht es Druck aus dem Kessel weg ist. Bzw., dass ich überhaupt sage „Nein, ich bin mir dessen bewusst, ich habe dazu beigetragen, dass es jetzt zum Konflikt gekommen ist“. Also wird der Konflikt auch durch mein Tun gemacht worden ist, dann kann ich auch was tun, damit der nicht einfach so eine Eigendynamik entwickelt und mich mitreißt und mein Gegenüber genauso.

Kriege werden gemacht – Frieden kann auch gemacht werden

Kriege werden gemacht, so habe ich einen Artikel einmal genannt. Kriege werden gemacht, Frieden kann auch gemacht werden. Kriege fallen nicht aus dem Wolken, die haben eine Vorgeschichte. Ich habe das mit dem Antizipieren und auch mit dem, dass diese drei Neigungen, Haltungen oder Modi, Flucht, Kampf und Paralyse, alle Menschen haben. Nur die einen habens gelernt, besser damit umzugehen, oder sie kennen ihre Neigungen und wissen, sobald Stress zunimmt, dass dann in einer ganz bestimmten Situation sie zu Kampf führen, in einer anderen Situation zu Flucht, wieder einer dritten, dass sie gelähmt sind. Und ich betone das jetzt. Aber das hängt schon mit der Frage Haltung und Selbsterkenntnis zusammen, mit der Friedens- und Konfliktfähigkeit nämlich. Es ist wichtig, dass wir individuell uns kennen. Selbsterkenntnis. Und zwar empfehle ich da folgendes: Mit den besten Freundinnen und Freunden (vier fünf würden genügen) lassen Sie sich auf ein Gespräch ein. Und in diesem Gespräch schauen Sie auf Situationen, in denen Sie zum Kampf gehen. Was war typisch für die Situationen, wo in mir dieser enorme Drang da war „schlag zu“. Schau, was haben die gemeinsam? Kannst du diese Indikatoren erkennen? Das zweite natürlich, in welchen Situationen mache ich mich auf die Flucht? Was ist für diese Situationen, woe eine Übermacht mir gegenübersteht und in welchen Situationen bin ich wirklich blockiert? Und wenn das der Freundeskreis ist, dann stellen wir denen auch Fragen und versuchen mir zu helfen, dass ich das charakteristische der Situation, in der in mir Kampfmodus oder Fluchtmous oder der andere aufkommt, dass ich die besser erkenne. Und dann machen wir das mit den anderen Mitgliedern dieses Grüppchens auch als Gegrnleistung. Dann geht es weiter. Wie spüre ich in mir die allerersten Anzeichen „gleich wird mir der Kragen platzen“; die allerersten Anzeichen körperlich, seelisch. Und ich sage das deswegen. Später merkt man es natürlich aber da ist es oft schon zu spät.

Wenn der „Dieb“ im Porsche fährt

Je früher wir die allerersten Anzeichen erkennen, also Früherkennung, desto mehr Chancen haben wir, dass uns die Amygdala aktiviert. Wir holen sonst den Dieb, der im Porsche fährt, nicht mehr ein. Also das ist „eigenes Stressmmuster erkennen“. Und wie ich sagte, jeder hat Neigung zu anderen. Aber es kommt auf die Situation an. Und wenn ich die besser kenne plus die allerersten Anzeichen körperlich und seelisch. Dann ist die Chance, dass der Typ nicht schon einen zu großen Vorsprung hat, dass ich ihn wieder einholen und wieder Kontrolle bekommen kann. Und vor allem, nachdem ich antizipiert habe „Moment, wohin würde denn das kommen?“ Und jetzt, wenn diese Dinge, die ich jetzt von der Hirnforschung her aufgegriffen habe, wenn sich das abspielt, dann ist es so, jetzt gehe ich auf das nicht nur hirnphysiologische, sondern auf das Seelische und Geistige ein, nämlich dann sind unsere seelischen Funktionen genauso technisch wie wir uns selbst. Also was in uns geschieht und was außer uns geschieht, wie wir das wahrnehmen mit allen zwölf Sinnen nicht nur hören, sehen, schmecken. Es gibt mehr Sinne. Das verändert sich unter Stress. Also wenn das, was ich dann in der unteren Hälfte des vorherigen Bildes schematisch dargestellt hatte, wenn das mit uns schon im Gange ist. Die Wahrnehmungsfähigkeit wird enorm mehr und mehr beeinflusst, bestimmte Dinge überhören wir, übersehen wir, wollen wir nicht hören, wollen wir nicht sehen. Unser Blickfeld wird immer mehr eingeschränkt. wir sehen es natürlich von einem bestimmten Ort aus. Und dann kommt dazu, dass im Konflikt der Mensch dazu neigt, das, was sie standortbestimmt, so sehen. Und standortbestimmt heißt auch durch Erziehung, durch Ihr Denken in einer bestimmten Fachdisziplin usw.. Das, was Sie so gesehen haben, dass es gewisse Prägung hat, das ist einseitig, das ist gefärbt, auch polarisiert, wahr oder falsch. Und es wird fixiert, weil es gibt Scheinsicherheit. Und ich kann mich an irgendwas halten. So sieht es aus. Dann ändert sich eine Menge in der Art und Weise, wie wir unsere Denkfähigkeit aktivieren.

Vorerst auf die Fakten schauen

Also in entspannten Zeiten kann ich sagen „Moment, du sagst das und das Überprüfen wir mal, was spricht dafür, was spricht dagegen?“ Ich kann hin und her, ich kann plus minus gut abwägen und ich bin nicht gezwungen, schnell zu irgendeinem Urteil zu kommen. Nämlich ein Urteil, bevor ich vielleicht das und das und Fakten geschaut habe und bevor ich noch dies und jenes abgewogen habe. Und ich habe das bevor betont, weil es die Vorurteile sind, die da entstehen und dass wir dann die Dinge vereinfachen, weil die Welt ist kompliziert genug. Also die Neigung zur Vereinfachung, zum Simplifizieren nimmt enorm zu. Das ist auch, warum Rattenfänger in der Politik Erfolg haben, die bringen einfache Erklärungen, einfachen Lösungen. Das entspricht dem Stressmuster und es wird generalisiert, pauschalisiert. Alle sind so und so, Hängematten für alle Schmarotzer usw. und alle sind das und das usw. und es wird das eine oder andere bestimmten Menschen in die Schuhe geschoben, zugeschrieben, auf sie projiziert, vieles, vieles mehr. Also Wahrnehmen, Denken, mehr und mehr Beeinträchtigungen.

Und dann geht’s weiter im Gefühlsbereich. Ich habe vorhin schon was von von dem gesprochen. Kann ich mich einfühlen in mein Gegenüber, also Empathie für andere Menschen. Kann ich auch wirklich spüren, fühlen, was sich in mir abspielt? Oder stört es mich, dass ich merke, es kommt bei mir Ärger auf, vielleicht sogar auch Hass gegenüber Personen? Aber ich als guter Christ darf doch diese Gefühle haben. Also habe ich. Ich habe vor Jahren mit Pfarrern gearbeitet, immer wieder in London, mit Pfarrern verschiedenster Konfessionen. Und ich habe mit dieser Frage nämlich wie ist die „Selbst Empathie? Wie kann ich wirklich ehrlich auf das schauen, was sich in mir jetzt zusammenbraut, das hat die belastet. Aber Voraussetzung für die Fähigkeit, sich in andere Gefühle ein zu leben, einzufühlen, ist, dass ich überhaupt noch selbst und nicht mir was vormachen und bestimmte Gefühle, die ich nicht haben dürfte, nicht als in mir vorhanden zugebe. Verlust der Empathie. Und dann ist es so, dass mehr oder weniger so eine Art Abkapselung erfolgt, dass ich mit meinen Gefühlen andere nicht mehr erreiche, denn vielleicht exponiere ich mich, vielleicht riskiere ich Verletzungen usw.. Es gibt viele Überlegungen, die dazu führen, dass man sich lieber einigelt. Es ist ganz wichtig, dass mehr und mehr eben das, was über die Amygdala alles so eingeleitet wird und dann eben zu Äußerungen führt, dass das nicht nur eine Gefühlswirklichkeit ist, sondern meine Wahrnehmungsfähigkeit trübt, färbt, beeinflusst, meine Denkfähigkeit und auch das, was mich antreibt, motiviert. Und dieses Affektgesteuerte ist mir deswegen ganz, ganz wichtig, weil sie haben den Begriff sicher gehört „Affekt Logik“, das heißt, wenn bestimmte Affekte, bestimmte Emotionen ganz immer stärker und stärker werden, dass die unser Wahrnehmen und Denken enorm beeinflussen. Ich komme auf den Punkt, später noch. Aber weil wir jetzt so total unsicher sind, kommt die Logik auf so was wie „man will mir ständig irgendetwas antun, ich fühle mich verfolgt“.

Riesenproblem „Affektlogik“

Und diese Affektlogik ist ein Riesenproblem, führt unter anderem dazu, dass es dann zu Reflexhandlungen kommt. Ich gebe dem etwas Raum, weil die Frage „wie werde ich konfliktfähig“ im konstruktiven Sinn, damit zu tun habe, dass ich bei der Wahrnehmung ansetzen kann, bei der Denkseite, bei der gute Wille Seite und auch bei den Folgen. Das wird hoffentlich deutlicher, weil ich dann vom Individuum auf das Soziale, Zwischenmenschliche und sogar auf bestimmte politische Situationen, wie wir sie jetzt erleben und dann wieder auf den Menschen zurück wollen. Ich habe hier Bedürfnisse und Ersatzbedürfnisse. Es ist typisch für alles das, was im Stress geschieht, im Konflikt geschieht. Und das ist in der Stressforschung alles untersucht und beschrieben worden. Es ist wichtig, dass die Selbstempathie, die Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse auch durch die Affekte beeinträchtigt wird und dass da für bestimmte Bedürfnisse, die nicht honoriert befriedigt werden, dann mit der Zeit ein Ersatzbedürfnis Raum greift.

Ein Beispiel aus meiner Beratungsarbeit. Führungspersonen in einer Bank zum Beispiel. Wenn jemand ein ganz natürliches Bedürfnis hat, wahrgenommen zu werden als Person. Gut, dass es dich gibt, dass du da bist auf der Welt und dann auch noch die Leistung, die die Person erbringt, egal ob das jetzt an der Kasse oder in der Buchhaltung oder der Kundenberatung ist bei der Bank. Wenn dieses natürliche Bedürfnis nicht befriedigt wird, sondern vielleicht sogar frustriert wird, in dem jemanden man zu spüren gibt, bist du eigentlich nichts wert oder deine Leistung ist unbedeutend oder sogar schädlich, dann kann es sein, dass dieses Bedürfnis, Anerkennung nach wahrgenommen zu werden, nicht ein krankhaftes Bedürfnis nach Schmeicheleien oder Lobhudelei wäre, sondern einfach wahrgenommen zu werden, wertgeschätzt zu werden. Dass das dann zu einem Bedürfnis wird „moment, wenn ihr mir nicht die Anerkennung freiwillig gebt und ich mache Karriere und ich stehe als euer Vorgesetzter über euch, dann müsst ihr mich respektieren, schätzen, ob ihr wollt oder nicht“. Also dann Karriere, Status, Macht.

Ich darf Ihnen erzählen, aus meiner Arbeit mit Top Leuten im deutschen Bankenbereich, Vorstände, wenn ich mit Konflikten beauftragt wurde, zwischen denen zu arbeiten. Leute, die verschrien waren in der ganzen Bank als machtgeil, besessen. Und dann sitzen diese vier, fünf Herren sitzen dann mit mir und dieser Konfliktbearbeitung und dann fallen die Masken ab. Irgendwann. Und dann stellt sich raus. Das ist ein verwundbarer Mensch, der in seinem Bedürfnis nach authentischer Anerkennung verhungert ist. So gibt es vieles und dann, was mehr wäre im Wollensbereich auch beobachtbar ist. So dass mehr und mehr Forderungen erhoben werden. Unnachgiebig. Wenn das nicht. Also keinen Millimeter weniger. Das war mein letztes Angebot. Dann aus, aus. Dann werde ich töten und Vergeltungsdenken und dergleichen. Und da kommt jetzt bei all dem, sie sehen Pfeile zeigen in alle Richtungen. Das verstärkt sich gegenseitig immer mehr und führt dann zu Äußerungen, zu Verhalten in Worten. Die Wortwahl ist vielleicht nicht mehr so zimperlich, zu Taten, also im verbalen Gesprochenen.  Es gibt immer weniger Varianten bei dem, was man aus einem einfängt, wie man es tun kann. Die Wortwahl wird sehr hart und es kommen immer dieselben Kraftausdrücke vor. Stereotype Dinge oder dass Dinge zwanghaft getan werden. Ich kenne das so bei Menschen mit schweren psychischen Problemen, dass die dann immer den Zwang verspüren, sich zu waschen, oder irgendwie etwas anders zu tun. Das ist die Verarmung des Verhaltensrepertoires, wie es benannt wird, ist mit ein Riesenproblem. Auch da blicken wir mal in die Welt um uns herum. Wenn Menschen im Konflikt sind, im Stress wie prognostizierbar ist ihr Verhalten. Es ist immer einfältig und es hat dann subjektive Folgen auf die handelnden Personen bezogen und objektive Sachschäden usw..

Und wir sehen hier diese gelbe Scheibe, diese Emmentaler Scheibe mit den Löchern. Das heißt, dass das Ich, das Selbst, die geistige, steuernde Instanz, nur lückenhaft in der Wahrnehmung, im Denken ist, im Wollen, im Verhalten. Vieles geschieht, ohne dass wir uns dessen bewusst sind und ohne dass wir es willentlich tun.

Es gibt einfache Methoden, das sind diese elementaren Techniken, von denen ich am Beginn meiner Übersicht gesprochen habe, wie ich diese Einschränkungen der Wahrnehmung, wie ich da dagegen steuere in mir selbst, aber auch wenn ich gehe im Konflikt, wie sieht es die eine Seite, wie die andere, wie unterschiedlich, wie interpretierst du das, was du schon einmal selektiv gefiltert gesehen hast? Wie interpretiere ich das, was ich aus meiner Warte auch eingeschränkt gesehen habe und was hat das für Folgen? Dann ansetzen beim Denken, dass das starre, auf schnelle Konklusionen drängende Denken, das wieder zu einem wirklich wohlüberlegten bedachtsamen Denken führt. Oder dass weder die Fähigkeit, Zugang über meine Selbst Empathie zu den Gefühlen meines Gegenübers zu bekommen und nicht nur einfühlen zu können, sondern auch mitfühlen zu können, das ist ein Riesenunterschied. Bei der Konfliktarbeit bin ich nicht zufrieden, wenn die Menschen in der Lage sind zu sagen „Aha, ich verstehe jetzt“, wenn zwischen denen der Konflikt war, „jetzt ist mir klar, wie du dich da gefühlt hast“. Sie kennen die Gefühle, die sie beim anderen verstanden haben, benennen, aber es lässt sie kalt.

Wie herauskommen aus einem Konflikt?

Der Konflikt bewegt sich erst dann aus der Gewaltzone heraus, wenn jetzt die eine Person sagt, „Du, wenn ich jetzt das von dir höre und auf mich wirken lasse. Du Mensch, wenn ich merke, wie du da desorientiert warst und gelitten hast. Also ehrlich gesagt ist mir gar nicht wohl dabei, das lässt mich nicht in Ruhe“. Das ist jetzt ein Mitfühlen. Das ist jetzt nicht sentimentales Mitleid, aber ich kann teilhaben. Man spricht dann auch von kognitiver Empathie, emotionale Empathie und intentionale Empathie. Ich kann mich in dein Denken hineinfühlen. Das heißt nicht, dass ich genau mit dem einverstanden bin, aber ich kann es nachvollziehen. Ich kann mich in dein Fühlen hineinversetzen, emotionale Empathie und ich kann spüren, was was deine Bedürfnisse sind. Und damit kann ich anders auf dich eingehen. Das Verhalten kann einfach ungeschickt sein.

Bleiben wir also bei dem, wo es dann um Haltung geht und dann auch um Fähigkeiten. Und jetzt zu dem Wissen und Verstehen. Was spielt sich da ab? Ich muss sagen, ich habe ein einfaches und dann noch ein differenziertes, komplizierteres Bild, was sich eigentlich abspielt, wenn eine kleine Meinungsdifferenz dann auch sich zum Konflikt auswächst. Oft ist es so, dass eben eine gewisse sachliche Differenz zu schaffen macht. Und dann, wenn die sachliche Differenz nicht konstruktiv im Sinne der Dinge, die ich vorhin gesagt habe, als Ressource, Bereichernung damit umgegangen wird, dann kann es sein, dass die Tatsache, dass wir uns nicht verständigen und nicht verstehen können usw., dass dann Kränkung, Verärgerung, Vorwurf usw. aufkommt und damit die Differenzen auch auf der persönlichen Beziehung dazu kommen. Und dadurch nimmt die persönliche Referenz auch mit und man kann sogar noch weiter gehen. Es ist dann möglich, dass nach einiger Zeit zwischen denen, die schon diese ersten zwei Ebenen erreicht haben, dass dann auch der „Streit über den Streit“ beginnt. Nämlich „wer hat denn angefangen, was ist wirklich der Hintergrund?“ Also dass man Erklärungen für das Entstehen und für die Steigerung des Konfliktes hat und wie auch in dem, was von der anderen Seite abgewiesen wird, denn die hat ein völlig anderes Bild, warum es so begonnen hat usw. Und dann gibt es noch eine Steigerung nämlich – und das wirkt auch wieder zurück auf die vorherigen Ebenen – nämlich, man kann auch noch einen Konflikt darüber haben, was ist eine geeignete Lösungsmöglichkeit. Können Sie sich vorstellen, wenn Sie den Konflikt in seinem Entstehen und seiner Verursachung unterschiedlich erklären und nach bestem Wissen und Gewissen sagen? Weil es so ist, wie ich meine, ist das eine Lösung?

Der Konflikt hat uns

Und die andere Seite hat dabei eine andere Erklärung, dass darum die Lösung, die ich vorschlage, aufgrund meiner Erkenntnis abgewiesen wird, bekämpft wird. Genau das Falsche kommt dann und das wirkt auch wieder zurück. Wenn Ebene eins und zwei ineinanderspielen., „ja, seien wir ehrlich, wir haben einen Konflikt“. Wenn das weiter geht, dann ist eigentlich richtig zu sagen, „der Konflikt hat uns“, weil diese Bottom up so stark sind, dass die Gegensteuerung durch das Ich, durch das Selbst nicht mehr ausreicht, zu schwach ist.

Nun, ich habe jetzt das Thema wenn eine kleine Differenz dann mehr und mehr zu dem Konflikt wird, wie ich das mit den vier Ebenen kurz beschrieben habe und dann wirklich bis zu einem zerstörerischen und selbstzerstörerischen Konflikt eskaliert. Und da gibt es sogenannte Treiber und ich beschreibt diese, weil auch jeder dieser Treiber Ansatzpunkte für konstruktives, deeskalierendes Verhalten sein kann. Die Teufelskreise spielen immer und überall eine Rolle. Damit ist gemeint, es wird mir das angetan, ohne lange zu überlegen Schwupp, sofort die Reaktion, Aktion, Reaktion, ein Reiz, Reaktion. Da entsteht eine Kettenreaktion, denn auf meine Reaktion erfolgt wieder ohne viel Überlegung eine Reaktion darauf, wieder ohne zu überlegen meine Reaktion, Reaktion auf Reaktion auf Reaktion usw.. Und dabei habe ich ein Spiegelverhalten. Das heißt, wenn du so benimmst, bitte, dann darf ich dich auch so behandeln. Und das Interessante ist, dass im Konflikt die schlimmsten Feinde oft ziemlich genau das Verhalten des Feindes spiegeln. Das hat man genau untersucht zwischen George Bush und Saddam Hussein. Man hat gesagt, es ist, als wären sie Zwillinge. Die Verhaltensmuster sind so dieselben. Und dann entsteht etwas, wie die Dämonizoerzone.

Das heißt, dass eine Mischung entsteht  durch das Teufelskreis getriebene Verhalten der Konfliktparteien von bestimmten Wirkungen-Folgen, die so gewollt sind. Also die Wirkung entspricht mir. Plus gemischt mit Wirkungen, die geringer sind als das, was ich damit erreichen wollte. Der hält noch immer nicht seinen Mund, ist immer noch beleidigend in den Äußerungen“. Und drittens, dass Wirkungen entstehen, die weit über meine Absicht gehen. Ich sage dann irgendwas und merke, das schlägt im anderen ein, als hätte ich weiß Gott was getan. Aber das war gar nicht meine Absicht, dass ich denn jetzt vor all den anderen so verletze, aber er zieht sich das so an. Das heißt, diese Gemengelage von Wirkungen, sprich der Absicht, Wirkung ist geringer als Absicht. Wirkung geht weit über die Absicht hinaus. Das passiert auf beiden Seiten. Und wo immer diese Dinge erlebt werden, ist und das ist jetzt die Frage der Stimmungslage im Konflikt, wird davon ausgegangen, Ja, der andere hat noch viel schlimmere Dinge vor. Stell dich darauf ein, wenn er könnte, wie er wollte, dann wäre noch vieles kaputt. Ich habe jetzt das Beste noch verhindern können.

Will der andere immer Böses mit mir?

Jetzt Zweites. Und das ist verknüpft mit dem ersten. Und alle vier sind miteinander vernetzt verflochten. Das zweite ist die pessimistische Antizipation. Klingt ein bisschen geschraubt, aber ich antizipierte. Aber ich mache immer negative Annahmen. Der andere will sicher wieder was Böses. Feindselige Unterstellungen? Ja. Und deswegen so was wie. Damit ich dann nicht der Naive und der Dumme bin, muss ich jetzt schon die Dosis meiner destruktiven Handlungen meiner Gewalt erhöhen. Ich muss aufrüsten für den Fall, dass der andere wirklich sich so zeigt wie er ja tatsächlich das Böse ist. Und da geschieht das Paradoxe. Das hat die Geschichtsforschung immer wieder zeigen können, dass ein Hochrüsten zur Abschreckung noch nie Kriege verhindert hat, sondern sogar noch gefördert. Ich weiß, dann werde ich immer wieder angefeindet, wenn ich das so öffentlich verkünde. Aber das ist nachweisbar. Das ist die Paradoxie der Abschreckungslogik.

Und damit entsteht statt Abschreckung Provokation. Im Kleinen wie im Großen. Und dann etwas, was auch typisch ist: die Streitthemen. Am Anfang gab es vielleichtn denken sie an eine Ehescheidung, vielleicht nur vier, fünf kontroverse Themen wegen Urlaube und Kindererziehung und Auto ja oder nein und so und so. Und dann, wenn der Konflikt eskaliert, gibt es nicht die vier, sondern es gibt vier plus plus plus und am Schluss ist nichts mehr da, was nicht strittig ist. Die Streitpunktlawine. Ja, das geschieht bewusst. Und die stecken an. Auch da wieder die Frage. Also wie bei einem Teufelskreis. Was kann ich tun? Bitte Entschleunigung! Gönne dir die Zeit nachzudenken, zu Überlegen, muss ich sofort zurückschlagen. Also aus diesem aneinander gekoppelt sind Reiz und Reaktion. Oder wenn ich denke, es könnte doch sein, dass ich das Lösung nur so unterstelle, „wie wäre es, wenn die Gegenseite durchaus auch gute Absichten hat.“ Jetzt bitte fokussieren wir. Konzentrieren wir uns auf diese drei oder vier Themen. Natürlich sind viele miteinander verknüpft, aber wir können nicht alle Themen gleichzeitig in ihrer Komplexität und Verstricktheit wirklich gut behandeln. Also nicht in diese Ansteckung rein ziehen lassen und dadurch auch noch etwas, weil es wird immer komplexer, unübersichtlicher, dass dann dieses Simplifizieren die Form annimmt: „Also bitte, ich lass mich jetzt nicht von dir verwirren. Nicht das Thema und das und das, im Grunde hinter allem steckt nur dein Machtgehabe“. Oder so wie ein Buchtitel lautet: Power, Money and Sex. So einfach ist die Welt. Und wenn mal diese Dinge eine Rolle spielen, dieses simplifizierende unterstellen, um mit der Komplexität dem Schein nach fertig zu werden, dann wird es immer schwieriger. Und auch das hängt mit dem anderen zusammen. Der Kreis der aktiv Involvierten. Ich nenne das die Arena, nicht den Kriegsschauplatz, sondern die Arena, in der die Auseinandersetzung stattfindet. Nämlich jede Seite möchte, wenn schon der blöde Gegner mir nicht zuhört, dass die Freundin, der Freund mir wenigstens zuhört und zu mir steht, zustimmt usw. und dann auch ich möchte nicht allein dem anderen gegenüber stehen. Ich suche wirklich Unterstützung, Verbündete.

Verhalten wie im Kindergarten?

Und dadurch besteht die Neigung wie an diesem Beispiel. Also erst in der Schule gab es nur einen Konflikt „Elternpaar und einer Lehrerin, Tochter“ usw. und dann suchte das Elternpaar Unterstützung von anderen und dann die Lehrerin will nicht allein gegen die Eltern und schließt sich anderen an und dann ist die Schulleitung und dann bis zur Inspektion. Und so geht es weiter und die Gewerkschaft interveniert. Also Arena Ausweitung noch und noch. Und dadurch ist auch etwas, dass dieses simplifizieren so wie vorhin, geht dem anderen doch nur um eines. Wie ich sagte ich: Power, Money und Sex. Hinter diesen Massenszenen sozusagen, wer zieht denn da an den Schnüren? Und also jetzt, wer führt denn da Regie? Wer steckt dahinter? Und das kann am besten eine Person sein, der Bösewicht. Die Achse des Bösen hat mal ein amerikanischen Präsident von einem anderen gesprochen, von Schurkenstaaten. Und jetzt ist es halt die Inkarnation des Bösen in Moskau oder für andere in Washington.

Also, alles das passiert. Auch hier wieder: Es kommt drauf an, mit wem du sprichst. Willst du nur eine Bestätigung und Verstärkung oder suchst du auch mal unter Umständen einen kritischen Widerhall? Also das sind auch die Dinge, die ich als Treiber beschrieben habe. Wenn man erkennt, wie diese Mechanismen eigentlich wirken, wie kann man da etwas dagegen unternehmen.

Hinter diesem ganzen Prozess steckt eigentlich zum Verständnis das, was in der Psychologie Regression benannt wird. Regression heißt, dass ich zurückfalle auf ein Entwicklungsniveau, das seine Berechtigung hatte, zum Beispiel Adoleszenz. Aber wenn ein 40-jähriger Manager sich im Konflikt wie ein Adoleszenter, oder wenn der Konflikt weiter eskaliert, wie ein Pubertierender oder wie in der Präpubertät oder wie – und jetzt wissen Sie, was kommt – Kindergarten usw. verhält. Das ist Regression und das ist das Problem, das ist auch genau untersucht bei Top Politikerinnen und Politikern, die in internationale Konflikte verstrickt sind. Ich hatte einen Auftrag von der OSZE. Im Balkankrieg nur in einer Region in Kroatien, in Osteuropa, wo Serben und Kroaten und eine kleine ungarische Minderheit vier Jahre eben durch die Titopolitik durchmischt lebten. Und ich habe da 1992 – 1993 die Mediation gemacht, und ich habe mit ihnen auch die Eskalationsgeschichte des Jugoslawienkrieges  genau angeschaut, also mit Serben, Kroaten und einigen wenigen Ungarisch sprechenden. Und dabei hat dann plötzlich einer der serbischen Teilnehmer gesagt „Es ist entsetzlich, dass wir, die wir meinen, wir sind kultivierte Völker, dass wir auf Verhaltensweisen zurückgefallen sind, wie sie nicht einmal im Mittelalter bei uns waren.“ Die andere Seite hat sofort zugestimmt. Also wir haben erkannt, welche Kräfte regressiv da gewirkt haben.

Teufelskreis verhindern

Und ich habe vorhin gesagt, die dämonisierte Zone im Konflikt und das wiederhole ich jetzt: die Gemengelage. Wenn A was tut und beobachtet, wie das auf den B wirkt, dann sieht sie manche Dinge, „da habe ich erreicht, was ich wollte. Er redet nicht pausenlos, sondern begrenzt sich usw., aber verwendet immer noch bestimmte provozierende Ausdrücke. Ich habe nicht ganz erreicht, was ich wollte, aber dann habe ich noch irgendwas gesagt. Dann merkte ich, dem fällt das Kinn runter und macht furchtbar bösen Eindruck auf mich usw. Und ich merke sofort an seiner Aktion, dass ich ihn dann tief verletzt habe. Es war nicht meine Absicht.“ Und was tut er? Er unterscheidet nicht bei dem, was er als Wirkung erlebt, ob das vielleicht so gar nicht gewollt ist? Dann würde ich das nachsehen, jeder verliert einmal kurz die Beherrschung, aber nein, er nimmt eher an, auch bei den Dingen, von denen ich sage, die Wirkung war geringer als die Absicht. Nein, es ist mir nicht gelungen, einen noch stärkeren Hieb auszuteilen. Also die pessimistische Antizipation, die Unterstellung von Feindseligkeit, die schlägt hier voll zu, natürlich und unterscheidet nicht, sondern nimmt eher an, wenn A könnte wie sie wollte, würde sie mir noch viel mehr an den Kopf werfen vor all den anderen Kolleginnen und Kollegen. Also da tut er nicht lange überlegen. Teufelskreis, Aktion ohne hin und her. Und merkt jetzt bei der A auch diese Gemengelage „Wirkung Absicht“. Und was tut A in diesem Teufelskreis der Dynamik da drin? Nicht lange zimperlich sein, nicht lange zögern. Und so geht das. Und ich habe das jetzt deswegen angeführt, weil bei der konstruktiven Konfliktbearbeitung ein wichtiger Punkt ist, eben das, nämlich dieses andere gar nicht erst unterscheiden wollen, sondern „Moment, Moment, könnte ja sein, dass sie das so nicht gemeint hat. Ich frag lieber nach, bevor ich mir ein Urteil bilde über ihre Absicht.“ Und es entsteht nämlich sonst diese Zone der Dämonisierung, dieses gegenseitige Unterstellen, „die ist ja viel bösartiger als ich bisher gedacht habe.“ Und umgekehrt, denkt A das von B auch. Die Wirkung geht über die Absicht hinaus, wenn da A merkt, da habe ich offenbar tief unter der Gürtellinie getroffen. Moment, Moment, es könnte sein. „Ich sehe jetzt, was ich dir angetan habe. Aber bitte ehrlich, glaub mir, das und das wollte ich dir antun? Es ist nicht schön, aber das, was ich jetzt merke, wie das bei dir ankommt. Wirklich? Glaub mir, das wollte ich nicht. Aber ich sehe, was die Wirkung ist.“ Und das ist wichtig, dass die Täter-Person nicht versucht, dem Opfer sozusagen die Wirkung ausreden zu wollen, sondern zur Kenntnis zu nehmen. Denn nur der andere kann urteilen, wie tief, wie sehr das weh tut und wie tief das getroffen hat. Aber die Frage, ob das auf Absicht beruht und noch viel Schlimmeres nachkommen sollte, das ist ja ein Herumphantasieren in der Gedankenwelt der Gegnerin. Und jetzt bitte differenzieren auf Seite von A. Wenn sie damit konfrontiert werden sagen sie „ich nehme die Wirkung zur Kenntnis. Tut mir wirklich leid, war so nicht gemeint. Möchte mich in aller Form entschuldigen, dass und das war meine Absicht, aber das nicht.“ Und so kann es sein. Aber das möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, denn es sagt auch etwas über die Dynamik. Sie sehen, dieses Wesen, das geht automatisch auf der Rolltreppe hinunter und hinunter, da braucht man nicht viel zu tun. Aber der Weg zurück, hinauf, dahin kommt nur mit Anstrenung.

Es gibt übrigens keine Engelkreise, es gibt keinen Automatismus wie bei dem Teufelskreis, wo diese Eigendynamik sich selber immer verstärkt. Ich muss jedes Mal wollen, mich nicht provozieren zu lassen und auch nicht zu provozieren, jeder in jedem Moment.

Wie gehe ich mit meinen Schattenseiten um?

Was ich mit der Selbstempathie schon angedeutet habe, selbstreflexionsfähig, Selbsterkenntnis? Wie gehe ich wirklich mit meinen Schattenseiten um? Wie viel von meiner Lichtvision habe ich schon verwirklichen können, meine Stessmuster? Ich habe deswegen vorhin was gesagt, so mit meinem Freundeskreis Situationen herauszufinden, in denen ich zum Kampf oder zur Flucht oder zum anderen neige. Und die Früherkennung der allerersten seelisch-körperlichen Anzeichen. Kenne ich diese und kann ich da gegensteuern? Kann ich dieses gefangen sein, du musst sofort reagieren, also die Kettenreaktion erkennen? Was könnte mein Anteil sein? Das, was Konfliktparteien immer tun, ist die sinnloseste Frage, wenn ich als Mediator damit zu tun bekomme, mir zu erklären, wer angefangen hat, wie im Kindergarten schon. Entscheidend ist nicht „wer hat angefangen“, weil das dient nur der Schuldzuweisung. Wenn ich meine, ich kann die Ursachen objektiv finden, dann geschieht das oft in dem Streben, damit auch die Verantwortung genau bei jemand zu deponieren. Die eigentlich sinnvolle Frage ist „Was trage ich – egal wer begonnen hat – was trage ich durch mein Verhalten dazu bei, dass der Konflikt weitergeht und nicht unterbrochen wird?“ Das ist nicht eine Schuldfrage, sondern Verhaltensfrage. Und wo reize ich, lade ich ein, provoziere ich, triggere ich die Gegenpartei vielleicht unbewusst, manchmal durch Blick, durch Körpersprache, arrogant wirkt. Dann die Frage der Stimmigkeit, der authentischen Haltung. Und ja, das, was ich vorhin schon bei der neurophysiologischen Erklärung hatte: Überprüfen, stimmt das, was mir jetzt von den Trieben da so suggeriert wird? Und ja, begegne ich anderen Menschen so, dass ich sie in ihrer Würde anspreche? Das ist eine Haltungsfrage. Und dann die Verantwortungsbereitschaft. Also wenn ich merke, ob gewollt oder nicht gewollt, ich habe bestimmte Folgen verursacht, bin ich bereit, egal ob gewollt oder nicht, für die Folgen meine Verantwortung zu übernehmen. Denn die Folgen sind aufgetreten, weil ich eben mein Verhalten nicht zu 100 %, nicht einmal zu 80 % unter Kontrolle habe. Wie beeinflusst das mein Vorgehen? Und wenn ich jetzt versuche, im Konflikt mit der besten Absicht zu deeskalieren oder eingreife, achte ich dann die Verantwortlichkeit und mein Vorgehen? Abhängigkeiten oder nicht? Und könnte es sein, dass die Konflikte eigentlich Signale sind?