Angst und Vertrauen (2/6)

[21.09.2020]

Interview mit Anna Kohl

Anna Kohl lebt in Wien. Sie gilt als Kennerin der jungen Wiener Start-Up-Szene und als gut vernetzt. Sie hat sich 2018 selbstständig gemacht und arbeitete als Marketingexpertin und als Business Coach. Gegenwärtig ist die Szene in wirtschaftliche Bedrängnis geraten. Wie geht man mit so einer Situation um? Welche Rolle spielt Angst und Vertrauen dabei? Wir stellen diese Fragen Anna Kohl und bekommen interessante Einblicke in die Szene der Jungunternehmer*innen und weit darüber hinaus. Sie erzählt uns von ihren Hoffnungen und Wünschen in gesellschaftlicher aber auch kirchlicher Hinsicht. Das Interview führte Vikar Thomas Müller „coronakonform“ via Skype.

Wie hast du die ersten Tage des „Lockdowns“ in Erinnerung?

Das war für mich und mein Umfeld eine komplett neuartige Situation – es herrschte eine Art kollektive Angst. Eine solche Angst habe ich zuvor nur im kleineren Rahmen – vor allem unter jungen Leuten – zum Thema Klimawandel erlebt, eine ernstzunehmende Zukunftsangst. Man hat das Gefühl, dass es keine Antworten auf diese Situation hat. Man konnte auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen.

Die allgemeine Skepsis gegen staatliche Institutionen hat mittlerweile zugenommen. Im Februar haben die Österreichischen Behörden die Situation noch heruntergespielt, mittlerweile haben die Regierungsmitglieder große Hilfspakete versprochen. Kommen diese Hilfen bei der jungen Start-Up-Szene an?

Ich glaube, es hat verschiedene Stadien gegeben. Kurz nach dem Lockdown gab es noch Hoffnung; diese ist aber sehr rasch verflogen und der Enttäuschung und Orientierungslosigkeit gewichen. Unternehmerinnen und Unternehmer sind nicht dafür bekannt, an Demonstrationen auf der Straße teilzunehmen. Dennoch lädt sich jetzt Aggression auf, die sich in irgendeiner Form entladen wird. Besonders die jungen Unternehmen haben mittlerweile verstanden, dass sie eigentlich keine ernstzunehmende Interessensvertretung in Österreich haben. Die wirtschaftliche Situation wird sich in den kommenden Monaten noch verschlechtern. Ich habe mit ca. 40 Start-Ups in den Krisenmonaten gesprochen und ca. die Hälfte gibt an, bei den jetzigen Hilfspaketen am Ende des Jahres Insolvenz anzumelden zu müssen. Den Wegfall der jungen Wirtschaft darf sich Österreich langfristig nicht leisten!

Führt das auch zur Erkenntnis: „Uns hilft man nicht, wir müssen uns jetzt selber helfen.“?

Absolut. Ich glaube das Misstrauen gegenüber den Behörden war noch nie so groß wie jetzt. Die Leute haben das Gefühl: „Wir sind auf uns alleine gestellt.“ Das betrifft nicht nur die Wirtschaft, denn schließlich sind das auch einfach nur Menschen. Das strahlt in die Gesellschaft aus. Beinahe alle Eigentümer*innen der EPUs (Ein-Personen-Unternehmer) und KMUs (klein und mittlere Unternehmen) investieren gerade ihr Privatvermögen in ihre Firmen, um sie aufrecht zu erhalten. Das ist die Spitze der sozial-ungerechten Umverteilung: Denjenigen, die gutes Geld haben, tut dieses Investment nicht so weh. Für die Eigentümer*innen eines KMUs kann das eine finanzielle Katastrophe sein. Kleinunternehmer*innen haben nicht einen so großen Sicherheitspolster. Aber auch die Großen trifft’s natürlich hart.

Die jungen Start-Up-Unternehmen trifft die Rezession also besonders. Wird die Krise nachhaltig-negative Auswirkungen haben?

Lass mich zu den jungen Unternehmern sagen: Das, was die Wirtschaft unfassbar stark treffen wird, ist das Thema Innovation. Wir haben jahrelang für das Werteverständnis von Innovation gekämpft, aber jetzt wird genau diese Innovation durch Sicherheit ausgetauscht. Und das ist für die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs und Europas ein Rückschlag. Da wird man sich auf höheren politischen Ebenen etwas überlegen müssen.

Wie stark trifft die Krise Unternehmerinnen und Unternehmer unter 35?

Wir sind die Generation, die schon in jungen Jahren zweimal eine Krise durchgemacht hat. Die Wirtschaftskrise [2008 Anm.]. Zudem hat eine Studie über Wertedynamik belegt, dass diese Generation sinnstiftende Arbeit sucht. „old labelling“ [z.B. alt anmutende Flaschenetiketten etc. Anm.] spielen eine immer geringere Rolle. „work-life-balance“ ist veraltet – Privatbedürfnisseund berufliche Planung sollen nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden. Und das Thema Absicherung ist jetzt besonders in den Vordergrund gerückt. Wir haben gelernt: „Ich muss mich um alles selber kümmern.“ Das ist das Ergebnis eines besonders stark ausgeprägten Neoliberalismus. Und was sagt der Neoliberalismus? Er sagt uns, dass das Erwerbsleistungsprinzip über dem gesellschaftlichen Leistungsprinzip steht – die Erfolgs-Verantwortung liegt also beim Individuum. Im Umkehrschluss nimmt das Gefühl zu, dass du als junger Mensch mehr leisten musst und trotzdem weniger schaffen kannst.

Verkaufen sich junge Menschen aktuell unter ihrem Wert?

Vielleicht eine Erfahrung dazu, was für junge Unternehmerinnen und Unternehmer momentan auffällig ist: Es bewerben sich so viele High Potentials wie noch nie – also junge Menschen, die bereits eine beeindruckende Vita haben – und sie sind alle bereit, für viel weniger Gehalt zu arbeiten, um derzeit einen Job zu bekommen. Das führt langfristig in die Perspektivenlosigkeit. Andererseits entwickelt sich in den sozialen Medien gerade das genaue Gegenteil, die so genannte „toxic positivity“ [ungesunde positive Einstellung Anm.]. Dieser toxische Positivismus ist deshalb so verblendend, da er die systemischen gesellschaftlichen Probleme, wie die der sozialen Ungleichheit, die sozial ungerechte Umverteilung, Geschlechterungerechtigkeiten etc. ausklammert. Es ist eine Flucht.

Was gibt dir in solchen schwierigen Phasen kraft?

(Kurze Pause) Ich glaube, dass die Aussage: „Ich habe Angst“ in meinem Freundes- und Bekanntenkreis einen neuen Stellenwert gefunden hat. Psychische Belastungen waren auf einmal Thema. Sogar ehemalige Kundinnen und Kunden haben mich angerufen und gefragt, wie es mir geht und wollten selbst erzählen. Das war interessant.

Kommt in diesen Zeiten den Kirchen und Religionsgemeinschaften eine besondere Aufgabe zu?

Die Kirche kann eine unglaublich wichtige Arbeit leisten, indem sie diese Hoffnungslosigkeit aufgreift und das Thema in einem offenen und transparenten Diskurs bearbeitet. Dabei soll sie auf Dialog bauen und gemeinschaftlich dieses Problem angehen, die Menschen also nicht damit alleine lassen. Ich bin auch gespannt, was sich die Glaubensgemeinschaften für digitale Lösungen einfallen lassen werden.

Die gibt’s schon, Stichwort „digitale Kirche“.

Das fände ich schön, denn ich glaube viele Leute haben derzeit eine Hemmschwelle vor Menschenansammlungen. Manchmal tut es gut, in der Anonymität zu verschwinden.

Was gibt dir in herausfordernden Zeiten Vertrauen?

Ich finde Vertrauen als etwas sehr Besonderes und Empfindliches. Wenn wir das Wort zerlegen, geht es auch darum, sich etwas zu trauen. Für mich war es wichtig zu erkennen, dass ich vollstes Vertrauen in meine Kompetenzen habe. Auch meine Schmerzerfahrung schenkt mir Vertrauen. Wer schon Krisen – persönliche und berufliche – erlebt und aufgearbeitet hat, ist besser für den Umgang mit weiteren gewappnet.

Anna Kohl
Business Coach & Beraterin
Marketingkommunikation
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