[10.04.2021]
Von der Illusion des Erfolgszwangs
Während ich diese Zeilen schreibe, sinkt das Thermometer unablässig. Ein neuerlicher Kälteeinbruch trifft wie angekündigt ein. Seit ein paar Tagen steht der Kriecherlbaum in unserem Pfarrgarten in voller Blüte. Wird er den Frost aushalten?
Ich erinnere mich an Urlaubstage nach Ostern in Südtirol in vergangenen Jahren. Dort hat mitten in der Nacht die Feuerwehrsirene geheult, um die Obstbauern vor dem drohenden Frost zu warnen. Dann haben sie ihre Apfelbäume mit Wasser besprüht, und das gab den Blüten ein wenig Schutz. Also versuche ich das auch: Ich schleppe den Gartenschlauch auf den Balkon über dem Wasseranschluss im Garten, lege ihn durch die Küche ins Badezimmer, wo ich vom Fenster aus den Baum mit dem Wasserstrahl vielleicht erreichen kann.
Ich habe keine Ahnung, ob es etwas hilft. Zwischen Hoffen und Bangen: Nichts unversucht lassen. Und doch könnte es auch vergeblich sein.
Scheitern ist möglich. Dass es Enttäuschungen, Krankheiten, Behinderungen, ja den Tod gibt, gehört zu unserem Leben dazu. Ich habe keinen Anspruch auf gesundes, ungefährdetes, von Schicksalsschlägen freies Leben. Mir scheint, diese Einsicht gerät in Vergessenheit. Da müssen Ärztinnen und Ärzte zunehmend damit rechnen, wegen angeblicher Behandlungsfehler verklagt zu werden. Und in Wahrheit können die betroffenen Patient*innen nicht akzeptieren, dass eben nicht jede Therapie den gewünschten Erfolg bringt. Da wird sehr schnell ein Leben als nicht lebenswert klassifiziert. Und in Wahrheit erleben sich betroffene Menschen trotz großer Beeinträchtigungen als glücklich.
Wie finden wir die Einsicht wieder, dass Leben immer gefährdetes Leben ist, dass es keine Garantie auf Erfolg oder Schmerzlosigkeit gibt? Nach meiner Überzeugung ist dabei der Glaube eine große Hilfe. Dann verstehe ich mein Leben als Geschenk: mit allem, was dazugehört. Ich lerne damit zurecht zu kommen, dass auch Enttäuschungen, Krankheiten, ja auch Behinderungen und selbst der Tod dazu gehören. Und lernen kann ich das, weil ich damit rechne, dass der, der mir mein Leben schenkt, es gut mit mir meint.
Ich hoffe, ich lerne das auch dann, wenn es um mehr als Kriecherlmarmelade im Sommer geht.
Mag. Peter Pröglhöf
(Veröffentlicht in der Tiroler Tageszeitung vom 10. April 2021)