Ich muss es nicht glauben, ich hab es erlebt

[15.03.2022] [Update 16.03.2022]

Guter Neustart für die Fastenaktion der Halleiner Pfarrgemeinden nach der coronabedingten Zwangspause.

Andrea Leisinger stellte dem interessierten Publikum im Pfarrzentrum Hallein-Rif die Philisophin Simone Weil vor. Ganze 90 Minuten lauschte das Publikum konzentriert den sehr gut aufbereiten Informationen über diese „Querdenkerin der Neuzeit“.

„Die Autorin liegt mir auf der Seele wie eine Prophetin; es ist der Literat in mir, der Scheu vor ihr hat; es ist der potentielle Christ in mir, der sie bewundert, der in mir verborgene Sozialist, der in ihr eine zweite Rosa Luxemburg ahnt; der ihr durch seinen Ausdruck mehr Ausdruck verleihen möchte. Ich möchte über sie schreiben, ihrer Stimme Stimme geben, aber ich weiß: ich schaffe es nicht, ich bin ihr nicht gewachsen, intellektuell nicht, moralisch nicht, religiös nicht. Was sie geschrieben hat, ist weit mehr als , Literatur wie sie gelebt hat, weit mehr als ,Existenz‘.
Ich habe Angst vor ihrer Strenge, ihrer sphärischen Intelligenz und Sensibilität, Angst vor den Konsequenzen, die sie mir auferlegen würde, wenn ich ihr wirklich nahe käme. In diesem Sinne ist sie nicht , Literatur als Gepäck‘, aber eine Last auf meiner Seele. Ihr Name: Simone Weil.“ (Heinrich Böll)

Nachstehend ein Auszug aus dem interessanten Vortrag; das gesamte Vortragskonzept kann am Ende des Beitrages als pdf-Datei heruntergeladen werden.

Philosophie und praktisch gelebtes Christentum muss zusammengehen

Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal über eine Philosophin etwas erzählen werde. Die Philosophie in meinem Theologiestudium war mir nie sehr nahe – ich habe immer das praktische, gelebte Christentum für mich als das Erstrebenswerte gesehen. Als ich mich aber im Zuge der Vorbereitung mit dieser interessanten Frau beschäftigt habe, habe ich gelernt, dass beides zusammengehen muss. Die Philosophie von Simone Weil hat auch immer mit dem Leben zu tun. Das Leben gibt zu denken. Das ist nach wie vor sehr aktuell – das Denken muss mit dem Leben zu tun haben und dann Früchte bringen. Das Denken hat bei ihr niemals Selbstzweck – sie setzt sich einer schweren Arbeit in der Fabrik aus um zu verstehen.

Es gibt zum Beispiel eine schöne Geschichte von ihr, dass sie nach der Arbeit in der Fabrik mit den Arbeitern noch philosophiert hat. Die Arbeit ist da, aber die Arbeit ist nicht alles, weil sie immer noch einen Bezug hat.

Simone Weil hat z. B. am Abend, als die Fräserei nicht mehr im Betrieb war, in der Werkstatt Vorlesungen gehalten und die Fräser haben ihr zugehört. Sie hat von Platon erzählt und die Arbeiterinnen und Arbeiter haben dadurch gelernt, dass sie nicht nur Fräser sind, sondern dass es ihnen als Menschen möglich ist, sich selber mit ihrem Menschsein auseinanderzusetzen. Dazu braucht es kein Studium – ein sehr interessanter Ansatz – auch für uns heute.

Sie prophezeite den Sieg der Nationalsozialisten, erlebte die Gräuel des Spanischen Bürgerkriegs und schuftete in der Fabrik, um die Not der Arbeiter zu verstehen. Simone Weil ging für Ideale über Grenzen. Sie hätte uns gerade heute viel zu sagen.

Das Leben von Simone Weil

Simone wird am 3. Februar 1909 als Adopfine Simone Weil  in Paris geboren. Ihre Eltern sind Selma und Berhard Weil – Vater Arzt – in Paris geboren – Mutter zuhause – gut bürgerliche Verhältnisse – Bruder André. Beide Geschwister bringen eine außergewöhnliche Intelligenz mit – beide beginnen im Kindergartenalter schon Texte auswendig zu lernen – Gedichte zu lernen – frühe Begabungen – Andre wird später ein bedeutender Mathematiker – Simone hat auch eine Ader für Mathematik – vor allem bedeutsam werden Grimms Märchen für sie – Philosophie ist in den einfachen Menschen oft sehr viel eigener und näher als wir das gemeinhin denken.

Wichtigsten Themen, mit denen sich Simone zeitlebens beschäftigte

  • Gerechtigkeit – man erzählt sich, dass Simone schon als Kind eine große Affinität zur Gerechtigkeit hatte – sie hat z. B. vom Familienhaushalt Stühle verschenkt, weil andere zu wenig Stühle hatten. Man spürt schon ihre Berufung, nämlich sich einzusetzen für Menschen, die weniger haben oder die gar nicht dazu gehören. Die sozialen Fragen werden sie bis zu ihrem frühen Tod mit 34 Jahren nicht mehr loslassen.
  • Sehnsucht – Nur wenige Menschen leisten sich den Luxus einer echten Sehnsucht. Das ist ein wunderbares Bild und auch ein starkes Thema bei S. Weil und auch mit viel eigener Erfahrung hinterlegt.
  • Gottesfrage – Hatte jüdische Wurzeln und sich dem Christentum zugewandt. Ihr Denken ist immer noch aktuell – es hat fast etwas Überzeitliches in sich – sie stellt in ihren Texten immer wieder die Frage nach dem, was dahinter ist. Nach dem, was bleibt. Nach dem Ewigen. Man muss sich mit dem Ewigen beschäftigen, um aktuell zu sein. Die Welt muss immer in dieser Achse – Hier und Jetzt und der Ewigkeit – gesehen werden.

Simone hat zeit ihres Lebens ein enges Verhältnis zu ihren Eltern – Mutter ist eher dominant – erlebt, dass Simone für das alltägliche Leben eher ungeeignet ist und die Mutter immer dann wieder da ist, wenn bei Simone wieder etwas schief geht. Die Mutter macht sich große Sorgen um Simone – diese Dominanz deuten auch manche als Abhängigkeitsverhältnis. Simone hatte immer wieder mit Essstörungen zu tun – sie hat sich selber sehr wenig gegönnt – dazu werde ich später aus den Textpassagen des Fabrikstagebuches etwas vorlesen.

Der Hunger begleitete sie seit der Pubertät – damals hat man es noch nicht so benannt. Möglicherweise war es auch eine Geste der Auflehnung gegen diese starke Dominanz der Mutter. Simone wächst nicht religiös auf – sie ist eigentlich Jüdin, aber hat zum Judentum kein Verhältnis, wenn überhaupt ein negatives. Sie wird sich nie wesentlich damit beschäftigen – doch sie wird im Jahr 1932 nach Deutschland fahren und sich intensiv mit dem aufkeimenden Nationalsozialismus auseinandersetzen. Mit 24 Jahren hat sie die Macht und die Korruption angeprangert. Als Jüdin.

1914 wird der Vater eingezogen  und nimmt die Familie an die Front mit  –  das ist das Umfeld in dem Simone aufwächst. Mit 12 Jahren beginnen ihre Kopfschmerzen – Migräneanfälle – man vermutet einen Sportunfall aber vielleicht auch eine Veranlagung, diese Kopfschmerzen sind immer wieder Auslöser dafür, dass sie sich Gedanken über das Unglück macht.

Simone ist eine sehr schöne junge Frau – sie selber findet diese Schönheit aber eher lästig – sie kann die Aufmerksamkeit von jungen Männern überhaupt nicht brauchen – später wird sie sich deshalb eine dicke Hornbrille zulegen.  Ihre eigene Person und vor allem ihr Körper sind ihr überhaupt nicht wichtig – das wird auch gegen Ende ihres sehr kurzen Lebens dann spürbar. Ihr Körper und wie sich kleidete waren für sie totale Nebensächlichkeiten.

Nach der Pubertät und Jugendzeit entscheidet sie sich fürs Philosophiestudium – Prof. Alain – Philosophie ist nichts für den universitären Raum, sondern ist dazu da, um das Konkrete des Alltags immer wieder zu hinterfragen. Philosophie muss diesen Raum beackern – und darf nicht nur ein Hirngespinst sein. Bildung ist nie nur Kopfsache, sondern hat auch mit Herzensbildung zu tun.

Ihr Charakter – Widerspenstig, energisch, verrückt und höchst demütig und höchst arrogant. Es wird erzählt, dass sie einmal einem Philosophie-Professor das Manuskript, von dem er vorlas, aus der Hand genommen hat und selber weiter vorgetragen hat, weil sie der Meinung war, dass der Professor Hegel zu wenig gut darstellte.

Ihre Diplomarbeit hat sie über R. Descartes geschrieben, der zu dieser Zeit in Frankreich natürlich omnipräsent gewesen ist, aber sie ist dann wieder zurück zu Platon gegangen. Auch Kant spielte in ihrem Denken eine große Rolle.

Ihr Spitzname an der UNI zu dieser Zeit – „kategorischer Imperativ im Unterrock“. Exzentrisch unterwegs – extrem auffallend wahrgenommen – wenn Simone etwas behauptet, dann ist das so – macht es den anderen nicht leicht, sich ihr anzunähern. Sie bezeichnet sich selbst in dieser Zeit als Atheistin und Kirche als Institution ist ihr hochverdächtig. (Gegen Ende ihres Lebens hat sie einen Wandel erfahren).  Hohe Ablehnung gegenüber jeder Form von Kollektiv – das Kollektiv denkt nicht.

Nach Abschluss des Philosophiestudiums hat sie auch in einem Gymnasium unterrichtet und hat da ihre Unterrichtseinheiten fast immer thematisiert über die Zeit. Was heißt konkret, in dieser Zeit zu leben und hier das Gute zu suchen.

Sie hatte aber nicht nur Freunde – sie wurde in ihrem Schuldienst fast jedes Jahr versetzt – sie hat die Arbeiterkinder immer bevorzugt und die bürgerlichen Kinder haben die Prüfungen nicht bestanden etc. Da konnte sie wahrscheinlich aus ihrer Haut auch nicht heraus. Sie fühlt sich berufen, als Lehrkraft mit den Arbeitern auf die Straße zu gehen – versucht sich als Kumpel – möchte das Anliegen der Arbeiter mittragen. Wieder sieht man hier ihre große Sehnsucht nach der Gerechtigkeit – ihre Fähigkeit zur Empathie.

Sie hat sich dann freistellen lassen und in verschiedenen Fabriken gearbeitet – wahrscheinlich lag dahinter ihrer Sehnsucht, dazuzugehören. Mal so zu sein, wie der Großteil der damaligen Gesellschaft.

Arbeit in der Fabrik

Ich lade Euch ein, Euch vorzustellen – eine junge Frau knapp Mitte 20 – Studium der Philosophie – körperlich eher zart und kränklich. Wir befinden uns in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Warum hat Simone das getan? Für unsere heutigen Ohren sehr ungewöhnlich, für Simone war es normal, denn sie wollte das Leben und den Alltag der Menschen, über die sie nachdachte, kennenlernen.

  • 1934 – 1935 in Pariser Metallbetrieben
  • wollte lernen, nicht dozieren!
  • Suchte Ursachen für das Scheitern der Arbeiterbewegung
  • Begegnete in der Fabrik dem modernen Sklaventum
  • War für sie ein sehr lehrreiches Experiment

Die Arbeit hat sie stark beschäftigt – auch heute ist die Arbeit ein sehr starkes Thema – Kurzarbeit – keine Arbeit. Sie hat den spirituellen Aspekt der Arbeit betont.  Sie macht in der Fabrik tiefste Erfahrungen – sie schreibt z. B. in ihrem Fabriktagebuch – ich komme nicht mehr zum Denken. Ich bin so müde, dass ich nur daran denke, ob ich am Abend einen Platz in der Metro bekomme und noch ein Stück Brot zu Hause habe. Es war eine brutale und harte Arbeitswelt in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts. In ihrem Tagebuch steht z. B. Ich habe das Lachen verloren vor lauter Erschöpfung. Und dem gegenüber steht dann aber wieder – wenn ich den liebevollen Blick eines Kollegen nach getaner Arbeit gespürt habe, dann habe ich gewusst, dass es Sinn macht. Freundschaft ist ein hohes Gut.

Sie musste die Arbeitsstellen wechseln, weil sie z. B. die Akkordzahl nicht erreicht hat. Sie war sehr schwächlich und hat nicht so viel geschafft. Ihr Thema ist die ständige Erniedrigung – auch nicht mehr sein als die Anderen.

Ihr Fabriktagebuch zählt heute zu den wichtigsten politischen Dokumenten jener Epoche. Neben der Fabrikarbeit beschäftigt sich Simone mit den Themen der industriellen Arbeitsorganisation und der Gewerkschaftsbewegung. Es gibt kein vergleichbares Stück politischer Literatur aus der Arbeitswelt zu jener Zeit.

Nach der Arbeit in der Fabrik kehrt sie phasenweise in den Schuldienst zurück, aber nie mehr mit einer fixen Anstellung und später dann auch, weil sie als Jüdin keine Arbeitserlaubnis mehr hatte.

Zu Lebzeiten war Simone Weil in Frankreich nur einem kleinen Kreis bekannt doch schon kurz nach ihrem Tod verbreiteten sich ihre Schriften rasant. Ihre philosophischen, sozialkritischen und politischen Ideen zählen zu den wichtigsten des 20. Jahrhundert.

Als Simone am 24. August 1943 im englischen Exil starb, nahmen nur wenige Menschen davon Notiz. Einer von ihnen war Dr. Bennett, der die Französin vier Monate vorher gegen ihren Willen in das Middlesex-Hospital bringen lies, in dem er tätig war. Er fand Simone zuvor in einer Dachkammer am Boden liegend und es genügte ein Blick und er wusste: Hier hat sich ein Drama persönlicher Art abgespielt. Seine Patientin hatte hohes Fieber, war beinahe verhungert und so geschwächt, dass sie im Krankenbett kaum aufrecht sitzen konnte. Beide Lungenflügel waren von Tuberkulose befallen – Simone rebellierte aber gegen jede Art von Behandlung. Sie wehrte sich gegen die Verlegung in ein Einzelzimmer, man musste sie mit der Notlüge, sie sei ansteckend, überlisten. Da sie nicht aß, fütterten die Krankenschwestern sie wie ein Kind. Sie dankte es dem Personal aber nicht sondern wurde immer verärgerter. Dr. Bennett gab schließlich auf und erkannte, dass Simone sich selber zu Tode hungern wollte.

Beim Begräbnis von Simone waren nur 8 oder 9 Menschen anwesend – eine davon war ihre Zimmervermieterin.

In ihrem Totenschein steht – die Verstorbene hat sich selber getötet, in dem sie sich in einem Zustand geistiger Verwirrtheit weigerte, zu essen.

Simone und die Gottesfrage

Für Simone stellt sich die Gottesfrage anfangs nicht – sie ist der Meinung, dass uns als normalen Menschen die Voraussetzungen fehlen, diese Frage reell zu beantworten.

Wohl aber hatte sie eine Vorstellung von Gott – sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Gott sich ein besonderes Volk auswählt. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass es ein Gott ist, der Kreuzzüge veranlasst. Vom AT hat sie Hiob sehr gerne gehabt. Hiob gibt keine Antwort – ich bin ja bloß ein Mensch. Ihr Verständnis ist ein universales Verständnis. Sie ist in Frankreich aufgewachsen und ist sicher christlich assimiliert. Sie spricht von sich selber – ich habe ein christliches Selbstverständis – Inkarnation – Menschwerdung Gottes – das ist ihr sehr nahe gewesen. Sie suchte einen Gott, der eine Weite hat, der allumfassend ist. Der sich nicht in Schubladen stecken ließ.

Ich kann nur in dieser Zeit Aussagen über die Gottesfrage machen. Das ist auszuhalten. Dieses Warten – attent – auf ein Zeichen aus der anderen Welt – diese Gelassenheit und Achtsamkeit ist heute nach wie vor sehr aktuell.

3 entscheidende Begegnungen mit dem Christentum

  1. Die eine Begegnung geschieht in Portugal – sie ist dort mit ihren Eltern, um sich körperlich und seelisch zu erholen – sie erzählt von einer Erfahrung: Sie ist alleine in einem portugisischen Dorf unterwegs und erlebt dort eine Fronleichnamsprozession – von einfachen Fischern, die am Meer entlang mit Liedern und Gesängen und Kerzen abhalten – nimmt zutiefst war, wie sehr diese einfachen Menschen innig ihren Glauben Ausdruck geben. Diese Menschen sind gläubige Menschen, die nichts Abstoßendes haben. Sie spürt, dass es zwischen den Christinnen und Christen und ihrem Gott auch eine Art Abhängigkeitsverhältnis gibt – zusammengehalten von Bedürftigkeit und Liebe. Sie ist sehr berührt von der Demut dieser Haltung – sie entdeckt das auch für sich selber – sehr zentral.
  2. Die zweite Begegnung geschieht in Assisi – Simone macht eine Italienreise, wo sie verschiedenen Städte besucht – sie taucht ein in diese wunderbare Welt der Kunstschätze. Sie ist begeistert und nimmt diese franziskanische Landschaft auf und in der kleinen Kapelle – diese Portiunkula-Kapelle.
    „Nie hätte ich solch eine Landschaft, eine so prächtige Menschenart und so eindrucksvolle Kirchen erträumt. […] Als ich dort in der kleinen romanischen Kapelle aus dem zwölften Jahrhundert, Santa Maria degli Angeli, diesem unvergleichlichen Wunder an Reinheit, wo der heilige Franz so oft gebetet hat, allein war, da zwang mich etwas, das stärker war als ich selbst, zum ersten Mal in meinem Leben auf die Knie.“ Gottesberührung hat hier stattgefunden.
  3. Der dritte Kontakt ist eine Erfahrung der Kar- und Osterwoche in der Abtei Solemnes – OSB – es war im Jahr 1938 – Simone war 10 Tage mit ihrer Mutter dort – von Palmsonntag bis Osterdienstag.

Das Gedicht „Love“ von George Herbert hinterließ einen starken Eindruck. Das Empfinden, dass Christus zugegen sei, beschrieb Simone Weil nicht als Erscheinung, sondern als „eine persönliche, gewissere, wirklichere Gegenwart als die eines menschlichen Wesens“. Weder Sinne noch Einbildungskraft seien an der „plötzlichen Übermächtigung durch Christus“ beteiligt gewesen. Sie habe durch das Leiden hindurch die Gegenwart einer Liebe empfunden gleich jener, „die man in dem Lächeln eines geliebten Antlitzes liest“.

In meinen Überlegungen über die Unlösbarkeit des Gottesproblems hatte ich diese Möglichkeit nicht vorausgesehen: die einer wirklichen Berührung von Person zu Person hienieden, zwischen dem menschlichen Wesen und Gott. Ich hatte wohl unbestimmt von dergleichen reden gehört, aber ich hatte es niemals geglaubt.

Simone hatte bis dahin nicht gebetet – ausdrücklich nicht. Aber dieses Gedicht lernte sie auswendig und es wurde vor allem in Zeiten der sehr starken Kopfschmerzen für sie so etwas wie ein Gebet. Sie wird im Laufe der Zeit immer mehr die transzendente Bedeutung dieser Texte für sich entdecken und erspüren. Hatte auch ein großes Faible für Poesie – für  Sprache und schöne Texte.

Sie entscheidet sich bewusst gegen die Taufe, sie sagte – mein Platz ist an der Schwelle der Kirche.

Sie schreibt selber einmal, dass sie sich nie vorstellen konnte, dass Gott einen Menschen ergreift – nämlich sie selber. Und das ist das Unfassbare! Sie war eine ungetaufte Mystikerin – sie hat nirgends dazugehört und hat trotzdem diese Gotteserfahrung gemacht. Sie schreibt – ich muss das nicht mehr glauben, ich habe das erfahren! Diese Sehnsucht nach dem Letzten, das erhoffe ich nicht, ich weiß, dass mir das zuteil werden wird. Diese Bezogenheit auf die Transzendenz – nicht die Religion im Sinne der Kultur, sondern die Religion im Sinne des Menschsein – diese tiefste Verbundenheit mit dem Heiligen vielleicht.

Zitate

  • Und ist sie dann völlig ein Ding geworden, das nur ihm angehört, so verlässt er sie. Er lässt sie ganz allein. Und nun muss die Seele ihrerseits, doch in einem blinden Tasten, die unendliche Dichte von Zeit und Raum durchmessen, auf der Suche nach dem, den sie liebt. So legt die Seele nun in umgekehrter Richtung den Reiseweg zurück, auf dem Gott zu ihr gekommen ist. Und dies ist das Kreuz.“
  • Das einzige auf der Welt, was der Zufall dem Menschen nicht rauben könne, sei das Vermögen, „ich“ zu sagen. Genau dieses „Ich“ müsse aber Gott gegeben werden:
  • „Das ist es, was wir Gott geben, das heißt: zerstören sollen. Es gibt durchaus keinen anderen freien Akt, der uns erlaubt wäre, außer der Zerstörung des Ich.“
  • Die göttliche Selbstliebe und ihre Erschließung in der Schöpfung sei das Vorbild dafür, wie sich der Mensch ebenfalls selbst lieben solle. Der Mensch habe den falschen Drang, sich wegzuwerfen und sich vor falschen Göttern zu demütigen. „Nicht weil Gott uns liebt, sollen wir ihn lieben. Sondern weil Gott uns liebt, sollen wir uns lieben. Wie könnte man sich selbst lieben ohne dieses Motiv?“ Das Universum dauert auch dann fort, wenn der Mensch stirbt. Das ist für ihn kein Trost, wenn das Universum etwas anderes ist als er selbst.
  • „Ist jedoch das Universum für mich wie ein anderer Leib, dann hört mein Tod auf, für mich von größerer Bedeutung zu sein als der Tod eines anderen.“

Sie war der Überzeugung, dass selbst schwierigste Sachverhalte in einfacher Sprache erklärt werden können, wenn sie Wahrheit enthalten. Und dass es die Aufgabe ist, immer wieder in die Übersetzung zu gehen. Das wäre auch für die theolog. Inhalte immer wieder anzudenken. Verkündigung – Sprache ist eine Überlebensfrage von Kirche.

Simone Weil war ihrer Zeit voraus!

Mag. Andrea Leisinger

Das gesamte Vortragskonzept zum herunterladen und nachlesen.