Buchvorstellung

[12.04.2023]

„Die Abtei“ von Alois Brandstetter

Die Literatur ist voll von religiösen Motiven und Themen. In ihr spiegelt sich die gesellschaftliche Bedeutung, die das Christentum über Jahrtausende hinweg gewonnen – manchmal auch erzwungen – hat. Literatur lässt sich vielfach ohne eine gewisse Kenntnis der religiösen Schriften gar nicht wirklich lesen und verstehen, so voll ist sie mit direkten und indirekten Bezugnahmen auf biblische Texte, sowohl des Neuen als auch des Alten Testaments.

Ein Streifzug durch die Literatur ist somit sehr oft auch ein Streifzug durch christliche Thematiken und Mythen. Nicht immer kommt die Kirche dabei gut weg, insbesondere seit die Aufklärung das kritische Denken „erlaubt“ hat und die Literatur dieser neuen Möglichkeit nur zu gerne gefolgt ist. Sehr häufig führte das in der Vergangenheit dazu, dass Vertreter der Kirchen Literatur als schlecht oder verderblich eingestuft haben. Und doch ist vieles mittlerweile – aus einer weniger emotionalen Sicht heraus – durchaus anerkannt. Als Beispiel sei das Werk Heinrich Bölls genannt, der in seinen Texten oft sehr kritisch mit der Kirche umgegangen ist, dem man aber trotzdem attestieren muss, dass er letztlich mit seiner Kritik einen positiven Wandel unterstützen wollte und die Institution als solche nicht in Frage stellte.

„Die Abtei“, ein Roman des österreichischen Schriftstellers Alois Brandstetter, ist diesbezüglich eher unverdächtig. Er ist auch ein eher weniger bekanntes Werk der Gegenwartsliteratur… aber eines, das durchaus einmal vor den Vorhang geholt werden sollte. Zumindest für alle Lesebegeisterten, die eine Freude an geschliffenem Wortwitz in Verbindung mit europäischer Kultur- und Kirchengeschichte haben.

Die Idee dieses Romans, der in der Form des Kriminalromans daherkommt, ist unspektakulär, aber umso lesenswerter. Ein Inspektor soll in einem oberösterreichischen Benediktinerkloster den Diebstahl eines wertvollen Kelchs aufklären. Erzählt wird die Handlung dabei in einem Gespräch des Inspektors mit dem Abt des Klosters, der sich aber als durchgängiger Monolog des Inspektors entpuppt. Wie er den Diebstahl aufklären konnte, das verkommt im Rahmen dieses Monologs eigentlich zur Nebensache; im Vordergrund steht die kritische Weltsicht des Inspektors zu allen möglichen Themen rund um Kirche, Bildung und Gesellschaft, die in einem sprachspielerischen Feuerwerk ausformuliert ist. Nicht jede Kritik, die der Inspektor äußert, wird man ernst nehmen können, manchmal dienen dessen Ansichten dem Autor wohl auch dazu, genau diese Ansichten anzweifelbar zu machen. Aber gerade das macht den Roman dann wieder lesenswert, wenn man sich dabei ertappt, einmal bei den Aussagen des Inspektors zustimmend zu nicken und ein andermal ungläubig den Kopf zu schütteln.

Die Frankfurter Zeitung schrieb in ihrer Besprechung beim Erscheinen des Romans: „Ein geistiger Nachfahre von Bußpredigern wie Abraham a Sancta Clara oder dem Propheten Jeremias, mit denen sich der Ich-Erzähler ohne falsche Bescheidenheit in eine Reihe stellt“.

Und damit ist zwar nicht alles, aber doch vieles über diesen Roman gesagt, der von der Kirche (oder eigentlich vom Kloster) aus auf unsere Gesellschaft blickt. Lesenswert.

Hartmut Schwaiger