[24.11.2025]
„Man hört nur mit dem Herzen gut“
Wer kennt ihn nicht, diesen berühmten Satz aus dem „Kleinen Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry? Tief hat er sich eingegraben in unser kollektives, aufgeklärtes, europäisches Bewusstsein und steht so für das tief empfundene Sehnen des Menschen nach dem Guten. Nicht der Verstand ist es, der uns letztlich führt, sondern das Herz, unser Fühlen und Empfinden.
Ein schöner Satz.
Etwas anders hat es Botho Strauß, einer der bekanntesten Gegenwartsdramatiker, ausgedrückt, in seinem Prosaband „Paare, Passanten“, in dem er Alltagsbeobachtungen hintergründig betrachtet und reflektiert:
„Abgabe von Intelligenz des Geistes (der Kritik) an die Intelligenz der Sensualität. Hitchcocks ‚Vögel‘ werden länger in uns lebendig bleiben als Brechts ‚Mutter Courage‘. Das eine gehört zu unseren Mythen, das andere zu unseren Studien.“
Was Strauß damit sagen will, ist etwas, was die Psychologie und die Hirnforschung schon lange wissen: Das, was wir fühlen, bleibt tiefer in uns haften als das, was wir rational mit dem Gehirn durch Nachdenken erfassen.
Eigentlich eine gute Botschaft, oder? Denn wenn man „nur mit dem Herzen“ gut hört und wenn die Gefühle mächtiger sind als der Verstand, dann müsste doch alles stets gut sein – oder zumindest werden?
Nun, das gilt leider nur bedingt. Und der Irrtum dieses Gedankens liegt eben in der Definition des Begriffs „Herz“. Mit dem Herzen hören setzt in unserem Verständnis voraus, dass wir ein gutes Herz haben, das uns stets die richtige Richtung weist. In so einem guten Herzen leben Liebe und Mitgefühl – was kann da noch schiefgehen?
Eben das, was Botho Strauß anspricht: Das Herz als Synonym für unsere Gefühle und Empfindungen ist eben auch mehr als nur „das Gute“. Auch Angst, Hass, Rachedurst, Trotz und Wut sind Gefühle. Und die leiten uns nicht immer richtig (manchmal aber wohl auch, wenn wir sie als Teil unseres Wesens akzeptieren).
Das bedeutet, dass unser Herz, unser positives Herz im Sinne von Exupéry, eben auch gelenkt werden kann und muss. Wie wir fühlen, was wir empfinden, wie es also in unserem Herzen aussieht, ist beeinflussbar, ist veränderbar.
Und hier kommt dann wieder der Verstand ins Spiel. Die Menschenrechte beispielsweise sind nicht nur ein Produkt unseres tiefen Mitfühlens mit anderen, sie sind auch Produkt einer rationalen Auseinandersetzung mit den Gegebenheiten des Lebens. In Strauß’ Sinne sind sie also Teil unserer „Studien“, unseres Nachdenkens. Doch unser Herz – zumindest, wenn es Angst hat – kann sich diesen Erkenntnissen verschließen. Die Angst vor dem Fremden ist so eine Angst, die uns oft das Tor zum Verstand verschließt.
Diese Angst zu überwinden ist schwer. Der Verstand ist in diesem Zusammenhang oft wie ein Bergarbeiter, der sich nur mühsam und langsam durch eine dicke Felswand arbeitet – und oft, wenn die Gefühle in Aufruhr geraten, löst das einen Felssturz aus, und er beginnt wieder von vorne, als hätte er bisher nichts erreicht.
„Man hört nur mit dem Herzen gut“ bleibt ein wunderbarer Satz. Aber wir sollten uns bewusst sein, dass wir daran arbeiten können und müssen, was und wie unser Herz hört – und dass das nicht immer leicht ist.
Die Richtung dafür – wir nennen es meist Ethik und Moral – entsteht in beiden Bereichen: im Herz und im Verstand.
Hartmut Schwaiger
Beitragsbild: Pfeffer in gemeindebrief.de