Vom Recht des Stärkeren …

[2019-04-24]

… und der Nächstenliebe – ein biologischer Disput

Wohl jeder von uns ist während seiner Schulzeit im Biologieunterricht mit dem berühmten Schlagwort vom „Recht des Stärkeren“ konfrontiert worden, das – so sagt man – nun einmal die Natur bestimme. Formuliert wurde dieses „unumstößliche“ Gesetz von Charles Darwin, dem Entwickler der Evolutionstheorie. Einerseits ist uns dieses „Naturgesetz“ als wissenschaftliche Wahrheit beigebracht worden… und andererseits können einem doch immer wieder Zweifel kommen, wenn man diesem Gesetz die Lehre der Nächstenliebe gegenüberstellt. Denn eigentlich passt das doch absolut nicht zusammen, oder? Jesu Lehre ist eindeutig kein Plädoyer für ein wie immer geartetes „Recht des Stärkeren“.

Aber die Evolutionstheorie in Frage zu stellen, davor warnen uns – zurecht – weltweite Vorkommnisse rund um die so genannten „Kreationisten“ (strenggläubige Menschen, die davon ausgehen, dass nur die religiösen Schöpfungsberichte die Wahrheit beinhalten und Darwin daher falsch liegen müsse), deren religiöser Fanatismus und Kampf gegen die Wissenschaft äußerst bedenklich sind. Auch den deutschen Wissenschafter Joachim Bauer hat diese Frage beschäftigt. Und in seinem Buch „Prinzip Menschlichkeit“ gibt er Antworten, die Mut machen können.

  • Die erste Antwort ist eigentlich recht simpel: Darwin wurde falsch ins Deutsche übersetzt! Bei Darwin gab es nie ein „Recht des Stärkeren“ sondern nur ein „Recht des Fitteren“. Und mit „fit“ ist nicht die körperliche Fitness gemeint, sondern die Fähigkeit sich anzupassen. Darwin meinte also, dass in der Natur diejenigen „Arten“ überlebensfähiger sind, die sich besser anpassen können. Dass aus diesem „Übersetzungsfehler“ in Deutschland sich eine Rassenlehre entwickeln würde, in der von Darwins Theorie letztlich nur mehr der Gedanke einer überlegenen (eben stärkeren) arischen Rasse überbleiben würde, könnte ein Treppenwitz der Geschichte sein, hätte er nicht in den Wahnsinn des Nationalsozialismus gemündet.
  • Die zweite Antwort dauert länger, aber sie ist die, die noch viel tiefer geht: Joachim Bauer zeigt uns anhand verschiedenster wissenschaftlicher Untersuchungen, dass die Idee vom Überlebens-„Kampf“, der sich in der Biologie stark verbreitet hat, eigentlich falsch ist. Grundtendenz der Lebewesen ist vielmehr – wie die jüngere Forschung zeigt – das Streben nach „Kooperation“. Kooperation statt Kampf. So lautet die neue Theorie der Wissenschaft, wenn es darum geht zu erforschen, was die Lebewesen auf unserem Planeten tun, um zu überleben.

Und diese neue These wird von Joachim Bauer in seinem Buch untermauert mit einer Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, die allesamt zu einem Ergebnis kommen: Das Leben auf unserem Planeten beruht sehr stark darauf, dass wir mit anderen kooperieren. Diese Erkenntnis geht – naturwissenschaftlich gesehen – bis in die Genetik. Sogar auf genetischer Ebene können Wissenschaftler mittlerweile Untersuchungsergebnisse vorweisen, die zeigen, dass „Kooperation statt Kampf“ ein biologisches Gesetz ist, das nicht frommem Wunschdenken entspringt, sondern einen ernstzunehmenden Denkansatz darstellt, der dem „Recht des Stärkeren“ viel entgegenzusetzen hat. Wenn man sich also schon früher immer wieder gedacht hat, dass die Sache mit dem „Recht des Stärkeren“ doch eigentlich so gar nicht zu dem passt, was uns Jesus gelehrt hat… dann ist es an der Zeit, Joachim Bauers Buch „Prinzip Menschlichkeit“ zu lesen und festzustellen, dass religiöse Weisheit und biologische Erkenntnis durchaus nahe beieinander liegen können.

Ach ja, noch eine Anekdote am Rande:
Bereits vor über 20 Jahren fanden Forscher heraus, dass in Wolfsrudeln entgegen der bisherigen Annahme der Nachwuchs NICHT vom Alphamännchen stammt! Während die großen und starken Wölfe um die Position des Leitwolfs kämpfen, gehen die schwachen Wölfe mit den Weibchen ins Gebüsch und …. (Moralisch vielleicht nicht zur Nachahmung empfohlen, aber dass nur die Stärksten sich fortpflanzen sollen, das ist der Natur offensichtlich nicht so wichtig wie geglaubt.)

Hartmut Schwaiger