500 Jahre Martin Luther (2/2)

[27.09.2021]

Luthers Bibelübersetzung – ein Meilenstein in der Entwicklung der deutschen Sprache

Uns Evangelischen ist Luthers erzwungener Aufenthalt auf der Wartburg, wo er sich als Junker Jörg versteckt halten musste, natürlich ein Begriff. Und ebenso ist für uns seine dort vollbrachte Leistung der Bibelübersetzung in die deutsche Sprache ein bedeutsames theologisches Ereignis, schließlich gelang es Luther damit, das umzusetzen, was ihm äußerst wichtig war: die Möglichkeit für alle Gläubigen zu schaffen, sich selbst mit dem Wort Gottes auseinanderzusetzen und nicht auf die Auslegung von Geistlichen angewiesen zu sein.

Eine andere historische Leistung Luthers, die er durch diese Bibelübersetzung vollbrachte, ist allerdings nicht allen von uns (und nicht nur uns Evangelischen) so gut bekannt: Denn wenn es Luthers Ziel war, die Bibel in die Sprache des Volkes – das Deutsche – zu übertragen, dann muss man wissen, dass es dieses „Deutsch“ im Grunde genommen damals noch gar nicht gab. Einerseits stellt sich uns die deutsche Sprache der damaligen Zeit als ein fast babylonisches Sprachenwirrwarr an unterschiedlichen Dialekten dar, die sich teilweise stark voneinander unterschieden (man denke nur daran, dass man bis heute im Deutschen Dialekte hat, die sich wechselseitig praktisch gar nicht verstehen, wie etwa der alemannische Dialekt Vorarlbergs oder der Schweiz und andererseits das Plattdeutsche im Norden Deutschlands). Und andererseits war das Deutsche sprachwissenschaftlich noch sehr dem Mittelhochdeutschen, der Sprache des Mittelalters, nahe. Auch die Rechtschreibung richtete sich nach der Aussprache in den Dialekten und sogar unterschiedliche Schreibweisen ein und desselben Wortes waren völlig normal.

Ein kleiner Exkurs an dieser Stelle: Die Normierung der Rechtschreibung wurde erst viel später zum Thema. Goethes Weltliteratur konnte entstehen, ohne dass er sich um korrekte Schreibweise allzu viele Gedanken machen musste. Wer Originaltexte von damals liest, wird sich wundern, welch beinahe kreativer Variantenreichtum möglich war. Ein Paradies für all jene, denen die Regeln der heutigen Rechtschreibung nicht so leicht von der Hand gehen!

Aber zurück zu Luther: Da saß er also in der Wartburg, um seinen ehrgeizigen und theologisch so wichtigen Plan umzusetzen und das Erste, was er tun musste, war, sich zu überlegen, welche Varianten des Deutschen denn überhaupt von den meisten Menschen verstanden werden könnten. Er selbst sagte dazu, er habe sich an der sogenannten „sächsischen Kanzleisprache“ orientiert. Damit ist die Sprache gemeint, deren sich die Amtsstuben des Kurfürsten Friedrichs von Sachsen bedienten. Und diese wiederum hatten in gewisser Weise bereits Vorarbeit geleistet, weil sich Friedrichs Amtsstuben insbesondere mit den Amtsstuben Kaiser Maximilians in Wien in regem Austausch befanden und man wechselseitig versuchte, die eigene Sprache möglichst so zu wählen, dass sie die andere Seite gut verstand. Dies war also die Grundlage für Luthers Arbeit.

Aber die eigentliche Errungenschaft bestand dann in dem, was Luther selbst einmal als „dem Volk aufs Maul schauen“ bezeichnet hat: Denn die Kanzleisprachen hatten zwar eine Annäherung gebracht, waren aber im Stil sehr bürokratisch und hölzern (Juristendeutsch würde man heute sagen) und damit nicht gerade leicht zu verstehen. Luther hingegen kreierte einen Stil, der möglichst leicht zu verstehen war und sich vor allem an der gesprochenen Sprache orientierte. Mit seinem „dem Volk aufs Maul schauen“ war also nicht gemeint, man müsse sich derb oder vulgär ausdrücken, wie manche das (miss)verstehen, sondern gemeint war ein „volksnaher“ Sprachstil, um die Botschaften des Neuen Testaments den Menschen in ihrer Sprache zur Verfügung zu stellen.

Und die Geschichte beweist, dass ihm das gelungen ist. Die Verbreitung seiner Bibelübersetzung – und auch seiner anderen Schriften – mithilfe des Buchdrucks trugen wesentlich dazu bei, dass Luther mit seinem Bemühen um eine verständliche Sprache die Entwicklung des heutigen Neuhochdeutsch nachhaltig beeinflusst hat.

Hartmut Schwaiger