Mahlzeit oder Mitgeschöpf?

[25.04.2022]

So lautete das Titelthema der Biomarkt Zeitschrift KREO, die im Bioladen auslag, Ausgabe 04/2020. Zwei Jahre später liegt es noch immer auf dem von mir wieder und wieder gerne durchgeblätterten Zeitschriftenstapel. Das zeigt mir, wie mich dieses Thema nicht loslässt und nicht einfach als ausgelesen weggeworfen werden möchte. Einige Artikelthemen aus der Zeitschrift lauten: „Tier bleibt Tier und verdient Respekt, egal wie man es isst“, „Fleisch essen mit Herz und Verstand“, „die Evolution des Fleischessens“. Es geht um artgerechte Haltung, die Kälber bei den Kühen lassen, erschwingliches Biogemüse für alle, keine Tötung von Eintagsküken, unseren achtsamen und bewussten Fleischkonsum.

All dem kann ich sehr gut zustimmen, aber wo und wie finde ich den Weg in die ganz persönliche Umsetzung in meiner Ernährung? Was sind überhaupt meine Möglichkeiten bezüglich Alltagseinkauf, Zeitmanagement, Budget, Kochzeit? Und was denkt überhaupt der Schöpfer aller Tiere und auch uns Menschen darüber? Wie hat Jesus, während seiner Zeit hier auf der Erde den Umgang mit der Natur gehandhabt? Wieviel Raum soll dieses Thema in meinem Leben bekommen, wann werde ich zu fanatisch, zu dogmatisch, wann wird Essen zu meiner Religion, und wo ist es mein christlicher Auftrag den Schöpfer zu ehren, indem ich mit seiner Schöpfung gut umgehe? Und ist Umweltschutz, der Umgang mit Tieren, neben Nächstenliebe auch ein Thema in der christlichen Lebensstyle-Diskussion? Und manchmal galoppieren meine Gedanken sogar so weit, dass ich mich frage, ob ich als Mensch, Christin oder wir als christliche Kirchen auch deshalb an Glaubwürdigkeit einbüßen, weil wir nicht konsequent Gott und seine Schöpfung ehren, ja, oder zumindest erkennbar konsequenter an der Umsetzung des Auftrags, die Schöpfung zu ehren, arbeiten. Wie kommt es, dass wir bei den Kirchenkaffees Billigmilch auf den Tischen stehen haben? Und auf Konfi-Freizeiten, um sie so kostengünstig wie möglich zu halten, Schnitzel aus Massentierhaltung servieren? Und was ist überhaupt mit den Landwirten und Landwirtinnen, die mit Mühe versuchen Tier und Endverbraucher und eventuell auch ihrem eigenen Anspruch und Werten gerecht zu werden?

Wer sich an der Stelle fragt, ob dieser Artikel einfach nur aus Fragen besteht … der befindet sich mitten in meinem Gehirn.

Ich glaube, Gott wollte, dass ich an dem Thema dranbleibe, denn er hat mir noch mehr vorgelegt, diesmal in Form eines Buchtipps in einer Ausgabe des deutschen Pfarrerblattes, für Hans-Heinrich Fiedlers Buch „…und herrschet über das Vieh … Schwein, Pute und Huhn – Sache oder Mitgeschöpf“. In seinem Vorwort schreibt Fiedler:

„Auf der einen Seite werden Heim- und Hobby-Tiere als Sozialpartner gesehen und vermenschlicht, gepflegt und gehegt. Um ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden sicherzustellen, wird oft hoher finanzieller Aufwand betrieben. Dagegen werden Tiere, deren Fleisch, Milch, Eier und andere Körperteile wir verbrauchen, wie Sachen behandelt. Der Verkauf ihrer Produkte unterliegt einem gnadenlosen kommerziellen Wettbewerb. Züchtung, Haltung und Tötung dieser sogenannten Nutztiere sind hochtechnisiert und werden industriemäßig betrieben – dabei werden ihnen Schmerzen, Leiden und Schäden zugefügt und ihr Wohlbefinden wird erheblich eingeschränkt.“

Weiter schreibt er, dass der Begriff „Schöpfung“ unbelebte und belebte Natur umfasst, dass Tiere als Mitgeschöpfe zu verstehen sind und dem Menschen als beseelte Lebenswesen, die Schmerzen und Leiden empfinden können, in besonderer Weise nahestehen. Dies kommt auch zum Ausdruck im ersten Schöpfungsbericht, in dem steht, dass Tier und Mensch von Gott gesegnet werden und Landtiere und Menschen am selben Schöpfungstag geschaffen worden sind (Genesis 1, 20 ff). Fiedler macht sich Gedanken über die Würde der Tiere, die im juristischen Verständnis nur dem Menschen zugesprochen wird und bei Tieren lediglich von einem Wert gesprochen werden könne, aber der Eigenwert der Tiere sei nicht der Würde der Menschen gleichgesetzt. Aus theologischer Sicht jedoch wird nach dem Schweizer Theologen Karl Barth jeder lebenden Kreatur allein schon dadurch Würde verliehen, dass sie von Gott geschaffen, also Geschöpf Gottes ist.

Die Tochter unserer Freunde mit einem Kälbchen, gemeinsamer Urlaub auf einem Biobauernhof

In Fiedlers Buch geht es auch um Vorgaben zum Tierschutz und es gibt einen quälenden Einblick in die tatsächliche konventionelle Nutztierhaltung. Der Veterinär und Christ nimmt die Haltung (oder Enthaltung) der großen christlichen Kirchen in die Mangel. Artgerechte, tiergerechte, ordnungsgemäße Tierhandlung mit Hinweisen zu Bio-Siegel und Co. fehlen natürlich in seinem Buch nicht.

Hat die Beschäftigung von meinem Gehirn mit diesen Themen auch den Weg in Herz und Hand gefunden – sprich wo finden meine Erkenntnisse ihren Ausdruck in meine und vielleicht auch in eure Lebenspraxis? Vielleicht sind die Antworten so individuell wie wir Fragenden und das, was uns eint, sind die Fragen und nicht immer die Ergebnisse, Lösungen und Entscheidungen. Der Austausch darüber könnte auch eine Gemeinsamkeit sein. Und zwar nicht, dass wir uns allgemein und grundsätzlich zustimmen, sondern einander praktisch von der Umsetzung in unserem persönlichen Alltag erzählen. Bsp.: „Ich habe die Bio-Kiste XY abonniert, die wird wöchentlich zu mir ins Haus geliefert, ich kann sogar bestimmtes Gemüse wählen. Wenn ich schon weiß, nächste Woche bin ich auf Urlaub, kann ich unkompliziert pausieren. Das kostet mich am Sonntag lediglich 10 Minuten, diese Zeit investiere ich gerne.“ Oder: „Möchtest du einmal mit mir zum Biobauernhof XY fahren, dort gibt es vor Ort einen Hofladen, an dem ich immer mein Biofleisch kaufe.“ Oder: „Auf dem Arbeitsweg meines Mannes liegt ein immer geöffneter Selbstbedienungs-Hofladen, es ist kein Aufwand anzuhalten, um uns frische Eier mitzubringen, von einem regionalen Erzeuger und von glücklichen Hühnern.“ Oder „Wenn du möchtest, koche ich dir eins meiner vegetarischen oder veganen Lieblingsrezepte!“

Das Thema lässt sich weit auffächern. Vielleicht, liebe Leserin, lieber Leser, ist es auch bei dir an der Zeit, diesem Thema Raum zu geben? Wenn du der Typ bist, dem ein Schockmoment hilft, um eine Veränderung einzuleiten, empfehle ich dir ein tierquälendes Schlagwort in die Suchmaschine zu werfen. Die schonendere Variante wäre vielleicht, den nächsten Urlaub auf einem Bio-Bauernhof zu buchen! Wir als Familie haben das einmal gemacht, es hat uns nachhaltig verändert und wir möchten es auf alle Fälle wieder erleben, auch um uns ,auf Spur zu halten*.

Lasst uns reden! (heißt es doch gerade so schön in der derzeitigen Fernsehkampagne)

An dieser Stelle würde ich euch gerne einen aktuellen Lese-Tipp weitergeben, aber so weit bin ich noch nicht. Vielleicht beim nächsten Mal… Oder hat jemand von euch was „Christliches“ dazu gelesen? – dann freu ich mich über Austausch darüber!

Elisabeth Mauer
Ehefrau von Pfarrer Jens-Daniel Mauer, Mutter von zwei Töchtern, Kindergartenpädagogin