„Wir sind ein Teil der Erde“

[09.05.2022]

„Wir sind ein Teil der Erde“ – die Rede des Häuptling Seattle

Wenn es um das Thema „Bewahrung der Schöpfung“ geht, dann taucht sie irgendwann mit Sicherheit auf: Die berühmte Rede des Häuptling Seattle, die vielen als eine Art frühes Manifest des Umweltschutzes erscheint. Und in der Tat, wer sie liest (und nicht völlig gleichgültig gegenüber dem Umweltgedanken ist), wird beeindruckt davon sein, welch einfache, klare Gedankengänge hier ausgesprochen werden, die vieles auf den sprichwörtlichen „Punkt“ bringen, was uns heute angesichts des Klimawandels mehr denn je beschäftigt.

Nicht viele Menschen allerdings wissen, dass die Authentizität der Rede historisch umstritten ist. Und in der Tat: Mittlerweile hat man herausgefunden, dass sie – so wie sie bei uns verbreitet wurde – nie gehalten wurde.

Allerdings gab es sehr wohl eine historische Rede eines Häuptling Seattle, vom Stamm der Suquamisch-Indianer, die er als Antwort auf das „Angebot“ der amerikanischen Regierung hielt, Seattles Volk sein Land abzukaufen. Diese historische Rede ist allerdings mehr geprägt von der schwierigen Entscheidung des Häuptlings, dieses Angebot anzunehmen. Dennoch enthält sie einige Passagen, die die starke Verbundenheit der Indianer mit der Erde zum Ausdruck bringen. Da die Rede aufgeschrieben wurde, wurde sie Jahre später wieder entdeckt und inspirierte mehrere Menschen dazu, sie zu überarbeiten.

Zunächst entschloss sich William Arrowsmith, ein Universitätsprofessor für Literatur in den 1960er-Jahren dazu, eine aktualisierte Fassung zu gestalten. Und in den 1970er-Jahren verfasste der Drehbuchautor Ted Perry mit Arrowsmiths Erlaubnis eine weitere Version, die er als Kommentar zu einem Film über Umweltverschmutzung einsetzen wollte. Zum Teil ohne sein Wissen wurde die Rede in dem Film dann noch weiter verändert und fälschlicherweise als Originalrede des Häuptling Seattle im Abspann des Films „Home“ genannt. Diese Bearbeitung kann wohl als die Ursprungsversion jener Rede gelten, die als Manifest der Umweltschutzbewegung bei uns bekannt wurde.

Nun könnte man sagen, wir haben es also quasi mit einem Plagiat zu tun. Aber nur wenn man es vom historischen Standpunkt aus betrachtet. Vom literarischen Standpunkt aus ist sie ein absolut gelungener Beitrag zur damals aufkommenden Um Weltbewegung. Für all jene, die diese Rede noch nicht kennen, hier ein paar der schönsten Zitate, die den Ruhm dieses Textes begründen:

  • „Alle Dinge sind miteinander verbunden. Was die Erde befallt, befallt auch die Söhne der Erde“
  • „Der Mensch schuf nicht das Gewebe des Lebens, er ist darin nur eine Faser. Was immer ihr dem Gewebe antut, das tut ihr euch selber an.“
  • „Wie kann man den Himmel oder die Wärme der Erde kaufen (…) Wie können wir euch diese Dinge verkaufen – und wie könnt ihr sie kaufen?“
  • „Der Indianer mag das sanfte Geräusch des Windes, der über die Teich fläche streicht – und den Geruch des Windes, gereinigt vom Mittagsregen oder schwer vom Duft der Kiefern. Die Luft ist kostbar für den roten Mann, denn alle Dinge teilen denselben Atem.“

Und wer nun zum Abschluss den Beweis erbracht sehen will, dass die Verknüpfung der indianischen Lehre mit dem Gedanken der Bewahrung der Schöpfung sehr wohl berechtigt ist, dem sei versichert, dass man eine Reihe historischer Zitate finden kann, die belegen, dass die indianische Naturverbundenheit kein romantisierender Mythos ist. Aus dem Buch „Freundschaft mit der Erde“ von Käthe Recheis stammt beispielsweise folgendes indianische Gedicht:

Nahe den Bergen klingt der Felsboden hohl unter den Schritten.
Er sagt dir: Denk daran, die Erde ist eine Trommel.
Wir müssen sorgsam auf unsere Schritte achten, um im Rhythmus zu bleiben.

(Josef Bruchac) Hartmut Schwaiger