[11.11.2022]
Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr, 13. November 2022
Liebe Mitglieder unserer Halleiner Pfarrgemeinde!
In dieser Woche durfte ich einen ökumenischen Gottesdienst mitgestalten und dabei predigen, der seit vielen Jahren im November vom Bildungshaus St. Virgil in Salzburg für Menschen angeboten wird, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben. In den Gesprächen mit Trauernden danach hat sich für mich eine Erfahrung bestätigt, die ich auch in meinem Freundeskreis und meinem verwandtschaftlichen Umfeld machen musste: Ganz schlimm für die Hinterbliebenen ist es, wenn völlig unklar bleibt, warum sich ein Mensch das Leben genommen hat.
Die Sehnsucht, dass ich irgendwann einmal verstehen kann, was mir völlig unverständlich bleibt, spitzt sich in einer solchen Ausnahmesituation drastisch zu. Wir kennen sie vielleicht auch aus anderen Zusammehängen: Wenn ich mir selbst unverständlich bin – warum falle ich immer wieder in die gleichen Muster?
Wenn mir andere unverständlich sind – wie kann ein Mensch nur so werden?
Aber die Sehnsucht, dass ich irgendwann einmal verstehen kann, was mir völlig unverständlich bleibt, sie wird gestillt! Das ist die Botschaft des Wochenspruchs für diesen Sonntag:
„Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi.“ (2. Kor 5,10a)
Offenbar werden: Das, was verborgen ist, kommt ans Licht. Aber so, dass wir aufatmen und endlich verstehen. In seinem Lied „Komm, großer schwarzer Vogel“ hat Ludwig Hirsch das 1979 so formuliert:
„Und i‘ wer’ singen, i‘ wer’ lach‘n, ich wer’ „das gibt’s net“ schrei’n, weil i‘ wer’ auf einmal kapieren, worum sich alles dreht.“
Es ist sehr spannend, aus den biblischen Geschichten vom Gericht Gottes diesen Kern konsequent herauszuschälen. Weil das die Botschaft Jesu ist, haben wir deutlich allen zu widersprechen, die aus dieser Frohbotschaft eine Drohbotschaft gemacht haben.
Ich werde nie vergessen, wie es mein Mentor im Pfarramtskandidatenjahr, der inzwischen über 90jährige Pfarrer Günter Geißelbrecht, einmal in einer Predigt auf den Punkt gebracht hat:
„Gott, dein Richter, ist nicht dein Hin-Richter, sondern dein Her-Richter!“
Und vielleicht hilft es, bis es so weit ist, das Unverständliche diesem Richter zu überlassen.
Peter Pröglhöf