(3) Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln

[Online ab: 15.03.2023 00:13 | Letzte Änderung: 20.10.2023 12:06]

NEU (17.03.2023): Jetzt auch mit Originalmanuskript und Powerpoint-Folien des Vortrages (siehe Ende der Seite)

Der Evangelische Militär-Superintendent DDr. Karl-Reinhart Trauner aus Wien bestritt den 3. Abend der Fastenaktion 2023. Im sehr gut besuchten Pfarrsaal der katholischen Pfarre Hallein-Rehhof stand ein Lied von John Lennon und Yoko Ono aus dem Jahr 1971 zu Beginn der Ausführungen. Beim Referat ging es um grundsätzliche Überlegungen, der Krieg in der Ukraine musste aber aus aktuellen Gründen auch immer wieder als Beispiel angesprochen werden.

Nachstehend haben Sie die Möglichkeit, den Vortrag (noch einmal) anzuhören (57 Minuten).

 

Auszug aus dem Vortrag (es gilt das gesprochene Wort)

Ausgehend vom Titel „Imagine“ von John Lennon und Yoko Ono beginnt Trauner seinen Vortrag und fragt sich, ob das Lied eine sinnvolle Aufforderung sein kann, irgendwas zu tun oder nicht zu tun. Trauner versucht durch dieses Lied seine Gedanken weiter zu entwickeln. Dieses Lied aus dem Jahr 1971 – damals war der Vietnamkrieg – hatte das Ziel zu sagen „liebe amerikanische Öffentlichkeit, ihr seid auch Kriegspartei als Amerikaner“.

„War is over if you want it”. Das war die klare Botschaft dieses Liedes. Eine sehr politische, klare Botschaft, ausgerichtet auf die damalige amerikanische Gesellschaft. Man hört, fürchte ich, aber man kann nichts dafür. Wenn wir jetzt eine Abstimmung machen würden, wer Frieden in der Ukraine will, werden wir wahrscheinlich 100 % Zustimmung kriegen. Es ist offensichtlich doch nicht so einfach, wie man glaubt. Die erste Überlegung, die von der Methode her ganz wichtig ist, ist die Frage, die mindestens 200 Jahre alt ist, nämlich, was ist der Unterschied zwischen „Ziel“ und „Zweck“?

Was ist das Ziel und was der Zweck?

Das sind zwei Begriffe, die wir relativ häufig verwenden. Im Grunde tun wir nichts, ohne vorher nach Ziel und Zweck zu fragen. Wenn ihre Tochter kommt und sagt Papa oder Mama, gib mir 20.000 €, dann werden sie sagen „Wozu brauchst du es?“ Das ist die Frage nach dem Zweck. Die Frage nach dem Zweck ist die Frage nach der Ursache, also dem Wofür? Warum brauchst du das? Und wird zB. beantwortet mit „um mir ein Auto zu kaufen, um auf Urlaub zu fahren, um mir eine Wohnung zu kaufen“. Das ist im Grunde genommen auch verbunden mit der Sinnfrage, die das Ziel ist.  Das Ziel beantwortet nicht die Zweckfrage. Das Ziel ist das, was passiert. Das Ziel ist das Konkrete.

Was heißt das, auf das Militär umgelegt? Wenn sie das beantworten werden sie wissen, warum diese „Ziel-Zweck“ Frage so wichtig ist. Im Grunde ist das sozusagen der Hintergrund jeder politischen Entscheidung. Eine Entscheidung ist es, Ihr Auto zu kaufen, während Sie sich hoffentlich Gedanken machen über Ziel und Zweck. Zweck ist „Warum braucht man das Auto überhaupt“? Ich möchte mobil sein. Oder frage ich mich, ich kaufe mir ein Auto, das keine 10.000 € kostet, oder muss es schnell sein, usw..

Krieg ist eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit anderen Mitteln

Carl von Clausewitz, der große Militärtheoretiker, der ungefähr vor 200 Jahren gelebt hat, definiert Krieg als einen „nicht bloß politischen Akt“. Aber Krieg ist ein politisches Instrument. Die Politik verwendet das Militär und diesen Krieg und dementsprechend definiert sie ihn als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit anderen Mitteln.

Die politische Absicht ist der Zweck, um das zu erreichen. Der Krieg ist das Mittel und mit diesem Mittel erreiche ich ein Ziel. Das sind aber verschiedene Paar Schuhe. Geschrieben wurde das in den 20-er Jahren des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf den Napoleonischen Kriege. Clausewitz sagt, „man fängt keinen Krieg an oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu fragen, was man mit dem Krieg erreichen will.“ Das erste ist der Zweck, das andere das Ziel. Und wenn man diese Fragen nicht beantworten kann ist es eigentlich unverantwortlich, überhaupt damit anzufangen. Das ist eine Entscheidung der Politik, keine Entscheidung eines Soldaten, keine Entscheidung des Militärs, sondern das sind politische Entscheidungen, weil der Einsatz militärischer Mittel, ein Instrument der Politik ist, die sich über Zweck und Ziel klar sein sollte.

Mit der Weihnachtsbotschaft kann man natürlich sehr wohl an die Botschaft der Engel denken: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen des Wohlgefallens“. Das Lied von Lennon und Ono bringt das Ganze in einen großen Sinnzusammenhang. Friede als Größe, als Wunschtraum der Menschen, der auch von Gott versprochen wird oder von Gott doch zugesagt wird. Allerdings wann und wie? Wenn man das Lied weiter hört, dann gibt es dann eine Textstelle, wem dieser Frieden gilt. Dann ist der Deal „born to the young“.

Friede ist ein gesamtgesellschaftliches Konzept, das alle Menschen umfasst, wenn zwischen den Menschen Friede herrscht. An einer anderen Stelle kommt „without a fair“, also ohne Furcht vor. Das heißt eine Gesellschaft, wo nicht Furcht und Gewalt reagiert, sondern wo diese ganzen verschiedenen Menschengruppen friedlich miteinander leben. Das ist diese Botschaft, die Lennon mit dieser Weihnachtsbotschaft in Verbindung bringt. Friede ist, so wie sie Ihnen jetzt geschildert wurde, weit mehr als eine Abwesenheit von Krieg. Wenn wir uns so ein Gesellschaftskonzept, wie es da zwischen den Zeilen steckt, anschaue, dann ist Frieden weit mehr als nur eine Abwesenheit von Krieg.

Wozu haben wir überhaupt Staaten?

Dass Politik Zwecke und Ziele setzt und verfolgt. Bevor wir über über den Staat, über das Staatsziel oder den Staatszweck sprechen, müssen wir Anthropologie betreiben. Sie alle kennen die Geschichte. Was passiert als erstes, nachdem die Menschen aus dem Paradies hinausgeworfen wurden? Sie kennen sicher die Geschichte von Kain und Abel. Das ist das erste, was passiert. Bonhoeffer schreibt einmal „Wir leben im Vorletzten und nicht im Letzten“. Wir leben in einer unerlösten Welt. Wir leben in einer Welt, wo eben dieser Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, noch nicht Platz gegriffen hat. Das ist die Perspektive. Das passiert im Letzten. Wir leben aber im Vorletzten. Das ist nichts ursächlich christliches. Die klassische antike Philosophie geht davon aus, dass der Normalzustand der Krieg ist. Und Friede gehört gestiftet. Wir haben mit diesem Begriff des Friedensstiftenden im Grunde schon dieses Denkmodell dahinter, dass es der Normalzustand ist, dass Menschen nicht ganz friedlich miteinander umgehen, sondern dass es gesellschaftliche Normen braucht, um Frieden zu stiften. Das ist auch das antike Modell. Es gibt diesen Urzustand, und es gibt gleichzeitig eine kulturelle Norm, die diesen Urzustand ordnet und sortieret. Dieses Modell wird auch in der christlichen Theologie weitergeführt.

In der „Confessio Augustana“ im Artikel 16 steht: „… dass es in Ordnung ist, eine politische Ordnung zu schaffen, ein Verhalten zu setzen mit dem Ziel, das diese Ordnung verhindern soll, dass sich das Ungerechte durchsetzt. Das findet sich aber nicht nur in der Confessio Augustana. Das steht im Grunde auch im katholischen Katechismus und überall. Das ist so diese These, diese Vorstellung, die zieht sich auch durch die säkulare Staatstheorie oder Staatsphilosophie. Thomas Hobbes hat die Idee gehabt von einem Gesellschaftsvertrag. Das bedeutet, auch er geht im Grunde von diesen Unerlösten aus. Und er geht von der Theorie aus, dass die Menschen dann von sich aus diese Freiheit aufgeben und sie an einen Staat delegieren und der Staat durch Gesetze, durch diesen Gesellschaftsvertrag, einen Ordnungsrahmen schafft, der einen möglichst friedliche, prosperierende Gesellschaft erzeugt.

Immanuel Kant transportiert es in eine internationale Ebene und sagt, „es ist auf den Staat hin ausgerichtet“. Kant richtet es auf die internationalen Beziehungen aus. Er kommt zuerst auf die Idee, da könnten wir doch gleich einen Weltstaat einrichten. Wenn das national funktioniert, dann müsste das Weltstaat-mäßig auch funktionieren. Kant zuckt dann aber zurück und sagt, wenn das wirklich ein großer Staat ist, dann ist die Gefahr, dass das missbraucht wird, enorm hoch. Und deshalb nimmt er Abstand von dieser Idee eines „weltweiten Staates“ und versucht, einen Interessenausgleich durch internationale Verträge und Kontakte durchzuführen. Wenn wir das demokratisch vertiefen, beginnt schon so etwas Ähnliches wie eine Volkssouveränität. Wer ist der Garant, dass es tatsächlich eine friedliche Entwicklung gibt?

Eigentlich sind es nicht die Fürsten, sondern die Bürger, die diese Garantie tragen, dass es eine friedliche und prosperierende Entwicklung gibt. Und wir haben das dann in Demokratien – wie zum Beispiel in Österreich – umgesetzt. Der Artikel eins der österreichischen Bundesverfassung lautet „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volke aus“. Also das Volk ist der Garant dafür, dass es eine friedliche Entwicklung des Ausgleichs gibt.

Das bedeutet daher nicht, dass ein Politiker entscheidet, was passiert, sondern dass es tatsächlich politische Entscheidungen in einem Entscheidungsprozess sein müssen, wenn das Recht vom Volk ausgeht. Der gesamte Entscheidungsprozess ist ein politischer Prozess, der geordnet ist. In Österreich durch Wahlen, Parlament usw.. Mit „Primat der Politik“ ist nicht gemeint, dass der einelne Politiker entscheidet und der Rest tut das, sondern dass es einen Entscheidungsprozess gibt, der über Zweck und Ziel entscheidet. Staatszweck kann im Grunde nur sein, dass Menschen sich in einer friedlichen Gesellschaft bestmöglich entfalten können, sowohl individuell als auch als auch kollektiv als Gemeinschaft. Das ist der Zweck eines Staates.

Was ist der Staatszweck?

Dafür gründet man Staaten, dafür gründet man internationale Gemeinschaften, damit der einzelne Mensch wie die Gesamtgesellschaft sich bestmöglich entwickeln können. Diesen Staatszweck würden wir heute relativ breit anlegen. Heute würde man diesen Staatszweck zugegebener Weise vielleicht mit einer eher christlichen Benennung als „gerechten Frieden“ definieren. Das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen ist 2003 verabschiedet worden. Der Begriff „gerechter Friede“ kommt da nur am Rande vor. Darüber hinaus werden die Bereiche, Arbeit, Wirtschaft, soziale Sicherheit und Bildung angeführt. Wir leben in einer globalisierten Welt. Wir leben in internationalen Beziehungen mit neuen Herausforderungen und Chancen und Möglichkeiten, die das mit sich bringen. Wie gehen wir mit unseren Lebensräumen um? Gemeint ist im Sozialwort die Frage nach Stadt, Land und europäischer Integration. Wo gehören wir da hinein? Wo gehören die großen Medien hin, der große Bereich sozialer und gesellschaftlicher Zusammenarbeit, der immer wichtiger werdende Bereich der Umwelt, eine verantwortungsvolle, ganz konkrete Politik also? Das sind Bereiche, die in dem Sozialwort relativ intensiv beackert werden. Das betrifft alle Lebensbereiche eines Staates.

Es ist eine Gesamtkonstruktion, wie ein Staat sich so entwickelt, dass er dem Staatszweck entsprechen kann, dass man die Menschen individuell wie auch kollektiv entsprechend positiv entwickeln kann und ihnen Rahmenbedingungen bieten kann, dass sie sich als Gruppe wie als Individuum entsprechend positiv entwickeln können. Reden wir jetzt vom gerechten Frieden, von einem Bild des gerechten Frieden, das nicht illusorisch ist. Reden wir nicht von einer Vision, sondern von Konkretisierung, von Ideen, die seit der Antike tradiert werden. Das ist nichts Neues, was wir vor fünf Jahren herausgefunden haben, sondern das sind uralte, zugegebener Weise europäisch ausgerichtete Überlegungen. Machen wir jetzt wieder einen Sprung zum Militär. Es gibt, wenn man die Frage des Militärs anspricht, eine Theorie, die auch aus der Antike kommt. Sie wird normalerweise genannt als Lehre vom gerechten Krieg. Nur der Begriff „gerecht“ bedeutet im Deutschen was anderes als im Lateinischen. Deshalb ist die Begrifflichkeit des gerechten Krieges hochgradig missverständlich. Gemeint ist damit, dass ein Staatswesen in irgendeiner Form mit einem Kriegsfall konfrontiert wird. Welche Kriterien gibt es, um damit ethisch verantwortungsvoll umzugehen. Es wird bewusst vom „Kriegsfall“ geschrieben, wenn der Krieg schon da ist. Wie nähert man sich diesem Phänomen an? Cicero war der erste, der das ausformuliert hat. Und das wird dann über Augustinus Teil der christlichen Ethik und ist in der Zwischenzeit von den Kriterien her übernommen worden ins humanitäre Völkerrecht bis ins internationale Recht.

Die „Ultima Ratio“ eines Staates

Das ist eine kontinuierliche Entwicklung, die zwei Bereiche unterscheidet. Der erste Bereich ist beim Beginn eines Krieges. Wenn der Kriegsfall auftritt, ist es gerechtfertigt, in den Kriegsfall einzutreten? Und der zweite Bereich ist, wenn dieser Kriegsfall bereits stattfindet, wie benehmen sich ist in erster Linie Soldaten in diesen Kriegsfall. Da gibt es Kriterien, die aufgelistet sind. Gibt es einen gerechten Grund? Gibt es eine rechtmäßige politische Vollmacht? Es kann zum Beispiel Österreich keine Friedenstruppen und Truppen irgendwo hinschicken ohne entsprechende Mandate durch das Parlament. Da braucht es ein Mandat dazu und eine richtige Zielsetzung. Die „Ultima Ratio“ eines Staates kann immer nur der gerechte Friede sein.

Der „Weisheit letzter Schluss“ eines Staates kann immer nur der gerechte Friede sein. Das Problem besteht aber, wenn doch aus welchen Gründen auch immer ein Krieg auftaucht. Ist wirklich der Einsatz des Militärs, das letztmögliche Mittel? Oder wendet man sich dagegen, dass man das Militär sofort als „Feuerwehr“ eingesetz wird, bevor man alle Alternativen ausgeschöpft hat. Hat man Aussicht auf Erfolg? Sonst ist es sinnlos Soldaten einzusetzen. Festgeschrieben ist weiters, wie Soldaten sich in einem Krieg benehmen sollen. Ist der Einsatz der militärischen Mittel verhältnismäßig, das heißt, schließt man mit Kanonen auf Spatzen etc. Und es geht um die Unterscheidung zwischen Kämpfern und Zivilisten oder anderen Kombattanten, eine Unterscheidung, die tatsächlich immer komplizierter wird.

Ist Krieg erlaubt oder nicht?

Vermutlich werden Sie darauf antworten, für den Verteidiger ist es erlaubt, für den Angreifer ist es nicht erlaubt. Also Angriff verboten. Verteidigung erlaubt. Folglich kann die Frage „Ist der Krieg erlaubt“ nicht beantwortet werden. Es hängt davon ab, auf welcher Seite man steht.

Genau das ist der Grund, warum die Russen am Anfang des Ukrainekriegs gesagt haben, „das ist eine militärische Spezialaktion“, weil es damit es kein „Krieg“ ist. Ist es ein Eingriff in das Kriegsgeschehen, wenn Waffen geliefert werden oder wenn Unterstützung geschieht? Die Kritik an dieser Lehre ist sehr laut und ist natürlich nicht ganz unberechtigt, weil die Kritik richtet sich darauf, dass man sagt, eigentlich beschäftigt sich diese Lehre nur mit dem Krieg und nicht mit der Situation davor und danach, sondern sie ist ausschließlich auf Kriegssituation bezogen und in Wirklichkeit schafft sie auch einen Raum, dass Krieg unter bestimmten Voraussetzungen sozusagen legitim ist, gerechtfertigt ist.

Nur, wenn man angegriffen wird, nutzt diese Kritik wenig. Das ist nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs relativ deutlich geworden. Sie kennen das Sprichwort wahrscheinlich: „Wenn du den Frieden willst, dann bereite den Krieg vor“ . Das ist eine falsche Überlegung, sondern es müsste heißen, „wenn du den Frieden willst, dann bereite den Frieden vor“. Wenn man sagt, der Staatszweck ist der gerechte Friede, dann sollte man doch darum kümmern, dass dieser gerechte Friede geschaffen wird und nicht, dass man Krieg führen kann.

Mit „Friede“ ist nicht gemeint, dass alle plötzlich sich um den Hals fallen und wir uns alle lieben. Das ist nicht mit Frieden gemeint, auch nicht mit gerechten Frieden. Hegel hat einmal davon gesprochen, dass im Grunde eine Gesellschaft lebendig wird, wenn man mit Widersprüchen umgehen lernt. Also das heißt, wenn, wenn man positiv mit Widersprüchen umgeht. Immer dann, wenn man sich gegenseitig im Widerspruch befindet, wenn man diese Widersprüche auch auflöst und auch mit ihnen leben lernt, dann wird Gesellschaft lebendig. Und das gibt einem erst die Energie, mit Herausforderungen umgehen zu können.

Schon Schiller sagt, „es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“. Aus den Erfahrungen können wir ableiten, dass es eine Zeit gibt, in der man den Frieden vorbereiten soll, dass es aber auch gut ist, wenn man im Frieden den Krieg vorbereitet. Das ist eine Lehre, die man aus der jetzigen Situation ziehen kann oder ziehen muss.

Nicht kriegerischer Militäreinsatz

Es gibt auch Einsätze des Militärs, die nicht kriegerisch sind, auch wenn sie auch außerhalb des eigenen Staates sind. Wir denken zum Beispiel an den Einsatz der österreichischen Truppen am Golan. Das war eine Friedensoperation. Zwar herrscht am Golan nach wie vor – zumindest rechtlich – Krieg zwischen Israel und Syrien. Aber die österreichischen Truppen oder die UN-Truppen, die dort eingesetzt waren, sind natürlich nicht in einem Kriegseinsatz. Das heißt, sie waren zwar in einem Kriegsszenario, aber der Staat Österreich ist nicht in einen Krieg eingetreten mit Israel und Syrien oder nur mit einem. Also es wird dann noch mal komplizierter, wie diese Szenarien ausschauen und wie man Militär auch einsetzen kann. Wir reden alle vom internationalem Recht. Wir müssen leider eine gewisse Krise des internationalen Rechts konstatieren. Das es gibt leider in den letzten Jahren immer wieder, dass das internationale Recht von politischen Interessen überrollt wird. Das ist leider Tatsache. Je größer und mächtiger ein Staat ist, desto leichter kann er das tun.

Jetzt wieder zurück zu Zweck und Ziel. Gehen wir davon aus, dass jeder Staat einen Zweck hat, nämlich den des gerechten Friedens. Wenn wir davon ausgehen, dass der Ausgangspunkt von politischen Überlegungen ist, die Ziele zu bestimmen, dann müsste man so überlegen, dass man definiert, was will man am Ende haben und von diesen Überlegungen das Handeln ableiten. Das wäre politisch im Sinne des Primats der Politik. Am Ende sollte herauskommen, was der erwünschte Endzweck des ganzen Unternehmens ist.

Die Politik müsste schauen, welche Möglichkeiten hat sie, ein bestimmtes Ziel zu erreichen? Und dieses Ziel muss einen Zweck erfüllen. Beispielsweise könnten die Russen schon wollen, dass das „feindliche Bündnis NATO“ nicht direkt an seinen Grenzen ist. Das wäre so ein Ziel und dafür will man zB. an die 30 Kilometer in die Tiefe vorstoßen und das Gebiet einkassieren. Das ist jetzt nur ein Beispiel. Das heißt, man müsste im Grunde sozusagen eine Rückwärtsplanung machen und aus den Möglichkeiten, die jeder Staat hat, ableiten, welche Instrumente man jetzt einsetzt, um dieses Ziel zu erreichen und damit auch den Zweck zu erreichen.

Wenn der höchste Staatszweck der gerechte Friede ist, dann müssten wir eigentlich sagen wie soll das gehen? Wie kommen wir am Ende des Tages zu einem gerechten Frieden? Denn es muss jeden Staat klar sein, dass ein Krieg, der länger oder weniger lang geführt lang wird, immer desaströse Auswirkungen hat. Es gibt im Buchhandel ein einziges Buch über Perspektiven nach dem Ukrainekrieg. Offensichtlich gibt es nicht allzuviele Überlgeungen nach dem „Ziel“ dieses Krieges.

Henry Kissinger hat gesagt, „wir stehen am Rande eines Krieges mit Russland und China, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie das Ganze enden wird und wozu es führen soll“. Was hat das mit Österreich zu tun? Welche Zielvorstellungen hat Österreich mit der Ukraine? Es hat konkrete Auswirkungen, wie wir unsere Flüchtlinge behandeln. Es ist unlängst durch die Medien gegangen, dass die ukrainischen Kinder überlastet sind. Die Kinder werden gezwungen, in die österreichische Schule zu gehen und gleichzeitig machen sie das ukrainische Schulsystem online.

Der österreichische „Mittelweg“

Deshalb funktioniert im Grunde keines von beiden, wenn man Schüler so belastet. Wenn man das Ziel hat, nach dem Krieg die Ukraine wieder bestmöglich aufzubauen, sollten wir schauen, dass die Lehrkräfte, die jetzt da sind, unterrichten dürfen im ukrainischen Schulsystem. Das wird aber der österreichischen Schulordnung nicht gerecht. Wenn wir aber wollen, dass sie dableiben, dann müssen wir die Kinder integrieren, dazu braucht es dann aber keine ukrainische Matura. Wer in Österreich bleiben soll, braucht einen österreichischen Schulabschluss. Von dieser Antwort hängt es ab, wie wir die Flüchtlinge in Österreich behandeln. Wir machen den klassischen österreichischen Weg, nämlich den Mittelweg. Und der ist immer „richtig“. Wenn man politische Entscheidungen trifft ohne Ziel, dann wird man planlos. Es geht einfach darum, dass es offensichtlich wenig Konzepte gibt, wie das Ganze am Ende aussehen soll.

Je nachdem, was man für ein Ziel hat, muss man sich überlegen, wie schaut es dann nach Kriegsende aus. Die Europäer wollen sicher zu 100% Frieden in der Ukraine. Gleichzeitig schickt Europa Waffen dorthin, auch weil derzeit „keine Zeit für Verhandlungen“ ist.

Am heutigen Abend werden sie keine Antworten bekommen, es können nur Fragen mitgegeben werden. Eine Frage wäre: Wie stellt man sich vor, dass ein Kriegsende ausschaut? Wie stellt man sich vor, dass Frieden vielleicht irgendwann doch wahr wird? Frieden ohne Verhandlungen hat es noch nie in der Weltgeschichte gegeben. Selbst am Ende des Ersten Weltkrieges hat man verhandelt. Man wird immer wieder verhandeln müssen. Irgendwie wird man zu einem Modus Vivendi kommen müssen, wenn man diesen Krieg zu einem Ende bringen will. Man muss sich bewusst sein, dass Russland relativ hoch atomar gerüstet ist. Es wurde jetzt der letzte größere letzte Vertrag zur Rüstungsbeschränkung ausgesetzt. Er ist nicht gekündigt worden, aber ausgesetzt worden ist der Vertrag, der erst vor fünf Jahren schon nach dem Ablauf wieder aktiviert worden ist. Es gibt jetzt derzeit keinen einzigen gültigen Vertrag über nukleare Beschränkungen. Und die Gefahr, auf die Clausewitz seinerzeit hingewiesen hat, ist, dass Kriege, wenn sie nicht zu schnellen Erfolg führen, die Tendenz haben, dass sie sich, dass sie eskalieren. Wenn das militärisches Ziel nicht erreicht wird, werden noch mehr Waffen eingesetzt. Das ist so die Tendenz. Das heißt, es ist eng. Russland hat jetzt verlauten lassen, dass über 90 % der Landstreitkräfte am neuesten technischen Stand der atomaren Waffen sind. Es muss Verhandlungen geben. Der israelische Politiker Moshe Dayan meinte einmal: „Wenn du Frieden willst, redest du nicht mit deinen Freunden, du redest mit deinen Feinden“. Eine sehr treffende Beurteilung.

Wie schaut es aus für die Zeit nach dem nach dem Konflikt? Also, es wird nicht sofort der gerechte Friede auftreten, es ist Illusion zu glauben, jetzt mal Waffenstillstand und morgen kommt der gerechte Friede. Das ist nicht sehr realistisch. Das heißt, wie gestaltet man diesen Übergang zu diesem gerechten Frieden, der ja der oberste Staatszweck ist (sein sollte)? Wichtig ist der Vorrang des Zivilen. Es ist sinnlos, wenn der Krieg aus ist und das Militär so weiter tut wie vorher. Gerechter Friede ist eine Zivilgesellschaft. Das Sozialwesen ist eine zivilgesellschaftliche Angelegenheit.

Was kommt nach den Waffen?

Es muss logischerweise, nachdem wen die Waffen schweigen, einen Vorrang des Zivilen geben, einen Primat des Zivilen. Ein Zitat vom deutschen Bundeskanzler Schulz und von der EU Ratsvorsitzenden: „Die Unterstützung der Ukraine ist nicht nur richtig, sie lebt auch in unserem eigenen wirtschaftlichen und politischen Interesse“. Das ist eine Vorstellung für ein Konflikt Szenario. Das ist ein strategisches Ziel. Es geht nicht nur um die Ukraine, sondern es geht auch um die eigenen Interessen. Offensichtlich spielen da relativ viele Interessen hinein.

All das ist ein breit angelegter Ansatz, der auch Mechanismen entwickeln muss, bei Bedrohungen sich entsprechend verteidigen zu können oder gegen Bedrohungen entsprechend agieren zu können. Moderne Staaten haben das durchgängig, auch in Österreich gibt es so etwas. Wir haben seit 1975 in Österreich die „umfassende Landesverteidigung“, dieses Konzept gibt es in der Schweiz und in anderen westlichen Staaten in ähnlicher Form.

In Österreich gibt es die klassische militärische Landesverteidigung und eine geistige Landesverteidigung. Das Primat des Zivilen besteht darin, dass die Gesellschaft bereit sein muss, entsprechend für einen gerechten Frieden einzutreten. Also ganz einfach zivile Landesverteidigung muss sein bis hin zu Zivilschutz. Es muss nichts Militärisches sein, ein Unfall oder dergleichen. Da geht es dann wirklich um eine zivile Landesverteidigung. Das schließt zB. auch die Energieversorgung mit ein. Man muss „Landesverteidigung“ breiter sehen. Es geht darum, wie reagiert man auf Bedrohungen, welche Instrumente hat man, um auf Bedrohungen (zB. auch durch den Klimawandel) zu reagieren? Jeder Staat hat eine ganze Breite, eine riesige Palette an Instrumenten. Diese Palette reicht vom diplomatischen bis zum Einsatz des Militärs. Es ist eine relativ große Palette da und man muss diese entsprechend den Bedrohungslagen einsetzen oder auch entsprechend den politischen Zielen. Welche Instrumente setze ich ein, um dieses Ziel zu erreichen? Dieses Ziel muss abgeleitet sein aus dem Staatszweck selbst.

Die Basis eines gerechten Friedens, egal ob wir den jetzt in Österreich erhalten wollen oder vielleicht doch ausbauen wollen oder ob man den in einem Kriegsgebiet im Anschluss an das Kampfgeschehen erreichen will, ist letztendlich eine Stärkung ziviler Konfliktbewältigungsmechanismen. Das kann man mit verschiedenen Instrumenten, die der Staat zur Verfügung hat, unterstützen. Dazu kann auch Militär dienen, darf aber nicht dazu führen, dass das Militär, die oberste Priorität hat. Also das heißt, gerechter Friede ist ein zivilgesellschaftlicher Prozess, kein Zustand.

Friede ist ein Prozess

Friede ist kein Zustand, sondern ein Prozess, so wie Krieg ein Prozess ist und kein Zustand. Und das heißt, man muss sich ständig um diesen gerechten Frieden und diesen umfassenden Frieden bemühen, um ihn zu erhalten, in dem Sinne, in der Kritik an den Ländern lebt. Die Voraussetzung, dass eine Gesellschaft Friede hat, ist auch zwangsweise, dass sie diesen Frieden will und den Mut hat, entsprechend auch Mittel einzusetzen, um diesen im Fall einer Bedrohung auch zu verteidigen.

Zusammenfassung: Helmut Meisl

ANHANG