(4) Frieden kann nur da sein, wo das Recht beachtet wird

[Online ab: 21.03.2023 23:40 | Letzte Änderung: 20.10.2023 12:05]

Die evangelische Kirche war am 21, März 2023 der Veranstaltungsort für den schon 4. Abend der diesjährigen Fastenaktion und die Entscheidung, nicht den (kleineren) Gemeindesaal zu verwenden, hat sich als richtig herausgestellt, denn auch an diesem Abend kamen viele interessierte Zuhörer.

Und obwohl es schon der 4. Abend zum Kernthema „ist Frieden (un)möglich“ war, konnte der Referent, Univ. Prof. Dr. Reiner Anselm von der Universität München viele neue Sichtweisen einbringen und dafür sorgen, dass die Zeit viel zu schnell verging.

Nachstehend die Tonaufnahme des Vortrages (50 Minuten).

 

Realismus und Hoffnung

(„Fast“-Originaltext des Vortrages / Es gilt das gesprochene Wort * mit einem Klick in ein Bild wird dieses in Originalgröße aufgerufen)

Ich freue mich sehr, hier zu sein und freue mich, dass Sie sich für die Friedensethik interessieren, sozusagen als Hobby für das, was ich beruflich mache. Seit einiger Zeit bin ich relativ intensiv mit den Fragen der Friedensethik beschäftigt und am arbeiten. Realismus und Hoffnung. Darum soll es gehen. Was sind die Probleme der evangelischen Friedensethik heute und welche Ausblicke, welche Aspekte kann man eigentlich nennen?

Ich will im Grunde in vier Schritten vorgehen. Ich will zuerst mal ein paar grundlegende Koordinaten christlicher Friedensverantwortung benennen und dann die Frage stellen „Wie ist eigentlich genau der Zusammenhang zwischen Glaube und Handeln„? Das ist ja in der Friedensethik alles andere als ganz klar, wie diese beiden Elemente der geglaubte Frieden und die ethische Umsetzung sich zueinander verhalten. Einen größeren Teil möchte ich darauf verwenden, Ihnen die Koordinaten des eigentlich in der evangelischen Ökumene am meisten verbreiteten Konzepts der Friedensethik vorzustellen, nämlich das Konzept des gerechten Friedens oder Gerechtigkeit und Frieden. Und das mache ich am Beispiel der Ausformulierung der Friedensethik, wie sie 2007 durch die evangelische Kirche in Deutschland erfolgt ist. Dort haben die Investoren der Friedensethik niedergelegt, was aus ihrer Meinung eigentlich das zentrale und essenzielle christlicher Friedensverantwortung ist.

Und dann will ich auf dessen Probleme eingehen, ehe ich dann in einem letzten Schritt die weiterführenden Aspekte, die Hoffnungsperspektive des Glaubens noch mal thematisieren möchte. So haben Sie ungefähr einen Fahrplan. Die Teile sind unterschiedlich lang. Aber ich werde sie versuchen so mitzunehmen, dass sie da dann auch sanft zum Ende kommen.

Grundsätzlich kann man sagen, was sind eigentlich die Koordinaten christlicher Friedensverantwortung? Das bewegt sich in einem Spannungsfeld von Feindesliebe und Nächstenliebe. Und das dieses Spannungsfeld ist einem vielleicht zunächst gar nicht so klar.

Schutz des Nächsten vor Angriffen und vor Gewalt

Aber man merkt es sofort, wenn man sich klarmacht, dass die Nächstenliebe eben auch den Schutz des Nächsten vor Angriffen und vor Gewalt umfasst. Die christliche Schutzverantwortung dem Schwächeren gegenüber gilt genauso wie die Feindesliebe. Und es ist sehr schnell klar, dass diese beiden Elemente nicht unproblematisch in Spannung zueinander geraten können. Muss man den Feind auch dann lieben, wenn er den Nächsten bedroht? Was ist da eigentlich zu machen? Das sind genau die Fragen, die uns heute wieder beschäftigen. Das hat die Christenheit von Anfang an beschäftigt.

Und hat das versucht, immer wieder in neuen Anläufen durchzubuchstabieren. Die Verhältnisbestimmung zwischen dem Ruf in die Nachfolge Jesu, die wir in den Evangelien finden, und der christlichen Welt. Verantwortung beschäftigt sich dann letztlich mit demselben Umfeld und mit dem selben Problemfeld „wie verhält sich eigentlich Feindesliebe“? Das gebotene Verhalten einer im Grunde egalitären Gemeinschaft zueinander zu dem, dass wir es eben in der Welt Verantwortung auch mit den nicht so Friedfertigen zu tun haben? Was ist da eigentlich zu machen? Und diese Dynamik und die unappetitlichen Seiten in diesem Spannungsverhältnis kommen aus dem Bekenntnis und dem Erkennen der Macht der Sünde. Die biblischen Autoren lassen keine Zweifel daran, dass sie an der Stelle ein durchaus realistisches Bild der Wirklichkeit haben. Die Menschen gehen nicht so eitel nett miteinander um, wie man es vielleicht erwarten würde, sondern die biblischen Schriften machen sich nichts vor über die Abgründe des Menschlichen, dessen, was man eben immer auch mitbedenken muss. Die Macht der Sünde und das daraus resultierende Konflikt und Gewaltpotenzial zu wissen. Man muss in der Bibel nicht allzu lange lesen, um diese Elemente gleich zu finden.

Die eigenen Grenzen erkennen und akzeptieren

Die Sünde wird dabei eigentlich nicht als moralisches Defizit gesehen, sondern als strukturelle Unfähigkeit, und zwar als strukturelle Unfähigkeit, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Menschen neigen dazu, die eigenen Grenzen überschreiten zu wollen, unrealistisch zu sein, was ihre Möglichkeiten sind, aber vor allem eben den eigenen Herrschaftsbereich ausweiten zu wollen und zu akzeptieren. Das ist es, was in den biblischen Schriften und in der daran anknüpfenden theologischen Tradition als Sünde bezeichnet wird: Das Problem oder die Problemlösung für dieses Spannungsverhältnis. Was ich Ihnen geschildert habe zwischen Nächstenliebe und Feindesliebe, besteht darin, dass man das weltliche Gesetz als Ausdruck des Willens Gottes profiliert und sagt „Das ist die Art, mit der Gott die Welt ordnet“, trotz all der Bestrebungen zur Macht, Überschreitung zur Grenzüberschreitung des Menschen. Die Instanzen, die dieses Gesetz durchsetzen, werden dann schon bei Paulus, aber dann später auch in der ganzen Tradition als Ausdruck des Wirken Gottes in der Welt profiliert. Der prominenteste Niederschlag, das kennen Sie wahrscheinlich, ist in Römer 13 im 13. Kapitel des Römerbriefes, in dem Paulus schreibt, „dass jeder der Obrigkeit untertan zu sein hat, da die Obrigkeit im Auftrag Gottes handelt“.

Wie eine russische Puppe

Das ist eine Struktur, die im Christentum weit verbreitet ist und im Protestantismus eigentlich fast noch stärker verbreitet ist als im Katholizismus, nämlich dass man sich die Welt und die Ordnungsverhältnisse in der Welt so vorstellt, im Grunde wie eine russische Puppe, die immer so in einander aufgebaut ist. Und so wie das Verhältnis zwischen Gott und Mensch allgemein zu sehen ist. So ist dann in der nächsten Einheit auch das Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertanen geregelt. So ist dann auch das Verhältnis zwischen Pfarrer und Gemeinde geregelt und auch natürlich zwischen Familienvater und Ehefrau und von den beiden wieder gegenüber den Kindern. Das ist immer so ein ineinander Verschachteltes. Für die christliche Entwicklung ist ganz zentral, dass man über diese Figur auch die Gewaltanwendung legitimieren kann, und zwar mit dem Argument, dass hier eigentlich nicht der Mensch handelt, sondern dass der Ausdruck staatlicher Gewalt ein Ausdruck des Handelns Gottes ist. Denken Sie an das Bild von der Puppe. Das ist eigentlich die kleinere Instanz, immer nur auf Weisung der Oberen. Aber zum Realismus des Christentums gehört dazu, dass man durchaus in den Anfängen noch klar gesehen hat, dass die Obrigkeit nicht verklärt werden soll, sondern, wenn sie vielleicht am prominentesten in die Johannes Apokalypse rein schauen, in das letzte Buch der Bibel, dann sieht man da ein durchaus realistisches und auch, ja wie soll man sagen, von den Problemen staatlicher Herrschaft wissendes Bild. Dem Autor der Johannesoffenbarung steht ganz klar vor Augen, dass der Staat, wenn man so will, entarten kann. Das Problempotenzial staatlicher Gewalt, das immer wieder geregelt und legitimiert werden muss. Trotz alledem bleibt in der Christentumsgeschichte dominant, dass man sagt, der Staat bzw. die Obrigkeit (den Staat gibt es ja in dieser Form lange Zeit nicht, das ist ja erst mal ein Konstrukt der Neuzeit) handelt im Auftrag Gottes und weil sie im Auftrag Gottes handelt, ist es auch legitim, Gewalt anzuwenden. In diesem Kontext entsteht dann die sogenannte Lehre vom gerechten Krieg. Zweifelsohne ist Krieg eine Gewaltanwendung und die Frage ist, wann ist der eigentlich legitim.

Und die Lehre vom gerechten Krieg, das wissen sie bestimmt, stammt aus der Antike, hat aber einen für das Christentum ganz speziellen Ort, nämlich im Hochmittelalter, in der eine Situation herrscht, die im Grunde genommen durch einen Bürgerkrieg von verschiedenen Stämmen und Fürstentümern gekennzeichnet ist. In diesem Kontext geht es dann darum, die Frage zu stellen, wer darf eigentlich legitim Krieg führen? Sprich, wer ist eigentlich der legitime Stellvertreter Gottes auf Erden der das darf. Etwas kirchengeschichtlich und ökumenisch Interessierte wissen, dass es hier mal dieses erste Scharmützel gab zwischen dem Papst und dem Kaiser, aber natürlich auch einige Scharmützel zwischen den Fürsten und dem Kaiser. Wer da eigentlich legitimiert ist dann aber natürlich auch zwischen bestimmten Adeligen und den Zentralgewalten eine etwas unklare Geschichte. Trotz alledem gelingt es mit dieser Lehre den Krieg einzugrenzen und eine legitime Fassung zu bekommen.

Die Lehre vom gerechten Frieden

Der Nachteil dieser ganzen Sache besteht darin, dass man zwar schon sagen kann, dass die Lehre vom gerechten Krieg dazu da war, den Krieg zu begrenzen, faktisch aber hat sie so gewirkt, dass sie die staatliche Gewaltanwendung legitimiert hat. Es war nicht so, dass man all das, das eigentlich der Normalfall sein sollte, aber für den Fall, dass es Ungerechtigkeiten in der Welt gibt, oder unberechtigte territoriale Ansprüche. Da ist es schon richtig, kriegerische Gewalt anzuwenden. Und diesem faktischen Makel, den haben die Theologen und Theologinnen, die es ja nur ganz wenig gab, sehr wohl gesehen und haben deswegen im 20. Jahrhundert die Lehre vom gerechten Frieden in den Vordergrund gestellt. Es geht nicht darum zu klären, wann Gewaltanwendung legitim ist oder nicht. Sondern primär müssen wir die Frage stellen, unter welchen Bedingungen eigentlich Frieden stabil sein kann. Das ist die Frage, die wir haben müssen als Christinnen und Christen nicht die Frage, wann und auf welche Weise wir unvermeidliche Gewalt eingehen müssen. Das brauchen wir auch. Aber unser Schwerpunkt soll woanders liegen, nämlich bei der Ausarbeitung eines Konzepts des gerechten Friedens.

Im Hintergrund steht eine Idee, die im 20. Jahrhundert natürlich vor dem Hintergrund der Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine Plausibilität gewonnen hat, nämlich dass eine gerechte Ordnung die Wahrscheinlichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung minimiert. Die Friedensforschung hat herausgearbeitet und hat auch gute Belege dafür, dass Staaten, in denen es nach innen gerecht zugeht, seltener nach außen Krieg führen als diejenigen Staaten, die auch nach innen hin ungerecht organisiert sind. Und zu dieser gerechten Ordnung gehört auch eine gerechte Ressourcenverteilung, also eine gerechte Verteilung von Gütern. Und in diesem ganzen Kontext verändert sich ganz massiv die Denkweise und die Argumentationsweise vom Frieden innerhalb der evangelischen Tradition. Man kommt von der Lehre vom gerechten Krieg als diejenige Lehre, die in der Fortsetzung der Lehre vom Gesetz eigentlich den Einsatz von kriegerischer Gewalt und staatlicher Gewalt legitimierte, dahin, dass das eigentliche Proprium des christlichen Glaubens darin besteht, eine gerechte Ordnung zu entwerfen und sich für die einzusetzen. Und nur für den Notfall, dass es dass diese gerechte Ordnung infrage gestellt wird. In dem Fall ist eine gewaltsame Durchsetzung eben dieser Ordnung legitim.

Ein Sprung in die Gegenwart

Ich mache der Kürze willen einen riesigen Sprung von der Antike über das Mittelalter, in die Gegenwart. Vieles bleibt da auf der Strecke. Aber für den Gebrauch, den wir hier haben oder was wir hier brauchen, kann das, glaube ich, im Augenblick mal so stehen bleiben. Eine gerechte Ordnung, und das führt dann zu einem bestimmten Engagement, auch gerade der Kirche und der kirchlichen Friedensarbeit, indem man sagt, wir müssen uns für eine gerechte staatliche Ordnung einsetzen und wir müssen Menschen darin erziehen, sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Die Friedenserziehung, die dann Teil der schulischen Bildung werden soll, insbesondere des Religionsunterrichts, verdankt sich und kommt aus diesem Kontext. Wie geht das zusammen mit der Frage, wie der Glaube zum Handeln motiviert? Hier wird immer wieder darauf hingewiesen, dass man nicht unmittelbar das Zeugnis Jesu in politische Aktivitäten ummünzen kann, sondern dass das so eine Art Leitstern ist, ein Orientierungsmerkmal, was es bedeutet, Gerechtigkeit zu üben und vor allem, sich für diese Gerechtigkeit einzusetzen.

Die am Rand der Gesellschaft stehen

Das bedeutet, vorrangig auf diejenigen zu schauen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Es bedeutet auch, sich nicht von Vorurteilen leiten zu lassen. Und es bedeutet vor allem auch den Kreis derer, die zu unserer Gemeinschaft gehören, nicht nach vorgegebenen Merkmalen der Volkszugehörigkeit, des Geschlechts, der Religion zu ziehen, sondern alle Menschen gleichermaßen als Geschöpfe Gottes aufzufassen. Und von dieser Einstellung her wird sozusagen das Bild des gerechten Frieden und dessen Inhalt konkret ausbuchstabiert. Am deutlichsten wird das, was das dann heißt, am Ende des 20. Jahrhunderts in eine Formel gefaßt, die Sie sicher kennen. Geprägt aus den Erfahrungen der Umweltzerstörung der 1960er Jahre, geprägt auch durch die großen empfundenen Bedrohungen nuklearer Hochrüstung der späten 1960er frühen 1970er Jahre, entsteht die Formel aus dem Dreiklang Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Die drei, der Dreiklang des sogenannten konziliaren Prozesses, der dann thematisch wird und leitend für die christliche Friedensverantwortung und auch die Weltverantwortung. Der Einsatz des Glaubens soll diesen drei Elementen dienen Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung.

Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung

Es ist mir gerade ein Versprecher unterlaufen, der aber vielleicht kein Freudscher Versprecher ist, aber auf ein Problem hinweist. In der internationalen Ökumene war nämlich extrem umstritten, ob die Formel heißen sollte „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ oder „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“. Warum? Um was geht es? Hier geht es um nichts weniger als um die Befreiungsbewegungen der Kirchen der Südhalbkugel, die gesagt haben, ihr redet euch leicht im Norden, wenn ihr den Frieden voranstellt. Ihr entwindet uns nämlich die Möglichkeit, ungerechte Verhältnisse durch Aufstände und durch den Widerstand gegenüber den Besatzungsmächten zu verändern. Trotz alledem setzten sich in den 1980er Jahren die Kirchen der Nordhalbkugel durch. Das wäre heute wahrscheinlich anders. Und diese Formel heißt „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Mittlerweile hat man sich da etwas salomonisch verändert und trifft sich in der Rede vom gerechten Frieden. Und man weiß nicht ganz genau, wie diese beiden Sachen zusammengekommen. Der Gerechtigkeitsbegriff, den ich auch vorhin schon gesagt habe, die Lehre vom gerechten Frieden als Anhang zum gerechten Krieg, wird sozusagen zum Scharnier zwischen dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung. Das sind die Fragen, in denen wir uns heute so in der Friedensethik beschäftigen. Wenn Sie das so ein bisschen anschauen, im kirchlichen Bereich spielt es eine ganz, ganz große Rolle, dass die Ressourcenverteilung nicht mehr nur im Sinne auf materielle Not ausgesprochen wird, sondern auch in der Frage, dass der sorgsame bzw. sorglose Umgang mit natürlichen Ressourcen ein massives Friedensrisiko darstellt. Ob das wirklich so ist, ist einigermaßen umstritten. Fakt ist allerdings, dass wir sagen müssen – und unter uns glaube ich darüber kann kein Zweifel bestehen – dass das Potenzial für Konflikte zunimmt in dem Augenblick, in dem Verteilungskonflikte zunehmen. Und die werden zunehmen, wenn wir weiter in dieser raubbauenden Art mit den natürlichen Lebensressourcen umgehen. Ob das bislang so ist, ist eben deswegen umstritten, weil wir auch viele kriegerische Auseinandersetzungen haben, die gar nicht mit Ressourcen zu tun haben, sondern die sehr viel mit Identitäten und mit Geschichte zu tun haben.

Der gerechte Umgang mit natürlichen Ressourcen führt zum Frieden

Aber dazu gleich noch ein bisschen mehr. Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung wird zum Frieden so, dass man sagt, der gerechte Umgang mit natürlichen Ressourcen führt zum Frieden, während der ungerechte Umgang Konfliktpotenzial schürt. Die zweite und im Augenblick glaube ich, herausfordernde Sache auf der friedensethischen Theoriebildung und auch der friedenspolitischen Auseinandersetzung ist, dass man sagt „Gerechtigkeit und Friede“ gehört so zusammen, dass Friede an das „In Geltung Stellen einer internationalen Rechtsordnung“ gebunden ist. Friede und Recht gehen eine ganz enge Koalition ein. Dieser Dreiklang Friede, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, in dem Gerechtigkeit und Frieden über Recht und Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit oder Bewahrung der Schöpfung, über Nachhaltigkeit und Ressourcenverteilung zusammengehen, ist, wenn man so will, die Grundmelodie evangelischer Friedensethik, die aber weit über die evangelische Kirche auch in der ökumenischen Bewegung hinaus geteilt wird.

Ich habe es angesprochen, dass in einer Denkschrift von 2007 das in einem großen Panorama entfaltet wird. Die Denkschrift heißt „Aus Gottes Friedens leben, für gerechten Frieden sorgen“. Hier ist genau diese Struktur aus motivationaler Gestalt des Glaubens, was ist das, aus dem wir leben? Die Beziehung zu Gott, die eben diese Form von dem, von dem egalitären Umgang miteinander in sich hat. Und daraus entsteht die Motivation für gerechten Frieden. Deren Fokus besteht dann im Weiteren darauf, sehr stark diesen Rechtscharakter zum Ausdruck zu bringen. Etwas, was in der friedensethischen Debatte eigentlich zum Gemeingut geworden ist und uns heute aber vor große Herausforderungen stellt. Dort wird gefordert, dass es vier Elemente gibt, aus denen eine Friedensordnung aufgebaut sein müsste. Zum einen den Schutz vor Gewalt durch Stärkung von universalen Institutionen wie den Vereinten Nationen und Systeme kollektiver Sicherheit auf regionaler Ebene, vor allem die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa wäre hier für unseren Kontext zu nennen, sowie Schutz und Gewalt durch Stärkung von universalen Rechtsinstitutionen. Ein zweites Element, Förderung von Freiheit und Sicherung von Menschenwürde durch Stärkung rechtsstaatlich kontrollierter Gewaltmonopole und Einbeziehung nichtstaatliche Akteure.

Frieden kann nur da sein, wo das Recht beachtet wird

Der Menschenrechtsgedanke spielt hier eine ganz große Rolle. Vor dem Hintergrund eben dieser Beobachtung, dass gerecht nach innen organisierte Gesellschaften weniger feindselig sind. Deswegen möchte man den Menschenrechtsgedanken in den Vordergrund stellen. Abbau von Not und Achtung von Mindestbestimmungen transnationaler Gerechtigkeit. Hier kommt das Verteilungsproblem zum Ausdruck. Und schließlich Ermöglichung von kultureller Vielfalt, Minderheitenschutz und die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen. Das reagiert auf die Frage, dass möglicherweise die Bedrohung von kultureller Identität eine Bedrohung des Friedens sein könnte. Aber ganz zentral die starke Stellung des Rechts, dass man sagt Frieden kann eigentlich nur da sein, wo das Recht beachtet wird, und die Garantien auf dieses Recht auf der internationalen Ebene sind die Vereinten Nationen. So weit, so gut. Wo liegen jetzt die Schwierigkeiten, die ich schon ganz kurz angetippt habe. Die Schwierigkeiten bestehen darin, dass schon dieser Streit um die Vorrangstellung von Gerechtigkeit gezeigt hat, dass diese Idee, dass das Recht eigentlich diejenige Instanz ist, die für ein friedliches Miteinander sorgt, dass die geboren ist aus einer sehr spezifischen europäischen Erfahrung. Die lässt sich so einfach weltweit nicht übertragen.

Gerade die Gesellschaften des globalen Südens haben zurecht gesagt, dass der Verweis auf das Völkerrecht immer auch dazu genutzt wurde, die Emanzipationsbestrebungen der Kolonien kalt zu stellen. Man konnte dann nämlich auch damit argumentieren, dass die Souveränität der Staaten nicht in Frage gestellt werden dürfe. Und sozusagen der Ordnung nach waren natürlich die Kolonien Bundesstaaten der Kolonialmächte. Sodass in dieser Perspektive diese Ordnungsvorstellungen des internationalen Rechts keineswegs friedensgenerierend war, sondern aus deren Perspektive als große Bedrohung wahrgenommen wurde. Darüber hinaus muss man auch sagen, dass darin eine nicht nur die Gewaltexzesse und die spezifische Geschichte des Zweiten Weltkriegs eine Rolle spielt, sondern dann auch immer stärker die positive Erfahrung aus dem europäischen Einigungsprozess. Die Europäische Union ist im Wesentlichen zunächst einmal ein Rechtsprojekt. Die Europäische Union wird integriert über das Recht. Das ist genau das, was auch das Einfallstor für jede Menge EU Kritik ist an angeblichen verrückten Rechtsvorstellungen, die die Europäische Union wieder den Nationalstaaten auferlegt. Der Gedanke aber ist, dass man einen einheitlichen Rechtsraum schafft und darüber Konflikte lösen lernt. Und diese Frage ist es, die wir im Augenblick in der Friedensethik intensiver diskutieren müssen, weil wir erleben, dass diese Vorstellung, die uns so gängig ist, dass die Integration über eine Vorstellung von Menschenrechten, den Schutz von Menschenwürde, den Abbau materieller Ungleichheit und die Ermöglichung kultureller Vielfalt und kultureller Eigenständigkeit, dass dies weltweit so kaum geteilt wird außerhalb der Staaten der Nordhalbkugel und eigentlich im Wesentlichen des globalen Nordwestens. Also das, was die transatlantische Meinungsbildung ist.

Ganz neue Aufgaben

An der Stelle stehen wir, wenn man so will, vor ganz neuen Aufgaben, weil wir diese Idee, die wir aus unserer eigenen Geschichte gewonnen hatten, irgendwie in einen internationalen Kontext bringen müssen. Hier wird man, glaube ich, in einer ökumenisch vergleichenden Perspektive sagen müssen, dass die römische Kirche wesentlich mehr schon in den Kategorien postkolonialer Identität denken gelernt hat, als das für den Protestantismus der Fall ist. Der Protestantismus ist, wenn man so will, noch nicht wirklich zur Weltreligion geworden, während die römische Kirche spätestens nach dem Konzil tatsächlich zur Weltkirche wird. Und mit Franziskus ist das auch deutlich geworden. Manches, was in den friedenspolitischen Äußerungen von Franziskus heute uns so erratisch zu sein scheint, hängt auch damit zusammen, dass er sehr genau weiß, dass diese Perspektive der europäischen Länder eben nicht die einzige ist, die weltweit vertreten wird. Und dass wir hier durchaus lavieren müssen zwischen den verschiedenen Elementen. Die Leistungskraft dieses Rechtsmodells soll dabei in keiner Weise in Frage gestellt werden. Damit konnte viel erreicht werden. Trotz alledem müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass das letztlich ein partikulares Modell ist, ein Modell, was eben unser Modell darstellt und an anderen Stellen bestimmte Schwierigkeiten aus sich heraussetzt.

Und die Ukraine?

Und genau an der Stelle stellen sich jetzt auch die Fragen, wie wir eigentlich den Herausforderungen begegnen sollen, deren Exzesse wir gerade nicht weit von uns in der Ukraine sehen. Hier ist nämlich das Problem, dass wir es nicht mit einem Ressourcenkonflikt zu tun haben. Wir haben es auch nicht mit einem Konflikt zu tun über unterschiedliche ökonomische Interessen oder ökologische Probleme, sondern wir haben es dezidiert zu tun mit einem ideen-politischen Konflikt, in dem der Grundgedanke des aufgeklärten Westens seitens des Regimes von Wladimir Putin massiv in Frage gestellt wird. Und wenn Sie die Auseinandersetzungen über die Friedensethik auch auf der Ebene der Vereinten Nationen anschauen, dann spiegelt sich das da ganz genau. Bei uns ist ja sehr viel gesagt worden, dass die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit den Krieg in der Ukraine abgelehnt hat. Was man dabei aber nicht vergessen darf, ist, dass dieses Ablehnen eben zwar die überwiegende Zahl der Staaten beinhaltet, aber bei weitem nicht die überwiegende Zahl der Weltbevölkerung. Denn große Player wie Indien und China, zunächst auch Brasilien, die haben sich aber jetzt wieder etwas anders positioniert, haben sich da eben enthalten und das sind große Akteure auf der internationalen Ebene. Warum? Weil sie hinter diesem Ordnungsmodell, das eben kulturelle Vielfalt, Eigenständigkeit der Kulturen, aber vor allem den liberalen Menschenrechtsgedanken ins Zentrum schlägt, dass sie darin eine Bedrohung ihrer eigenen Staatsform und Traditionen und Geschichte sehen. Und das ist die große Schwierigkeit, in der wir hier hier agieren, dass wir eine Leitvorstellung haben, bei der wir selbstverständlich aus guten Erfahrungen davon überzeugt sind, dass wir die kriegerischen Konflikte lösen können, wenn wir ein internationales Menschenrechtsregime aufbauen, wenn überall die Menschenrechte, und zwar nicht nur die Abwehrrechte gegenüber dem Staat, sondern auch die sozialen Anspruchsrechte und auch die Rechte gegenüber der Natur gewährleistet sind.

Anerkennung kultureller Eigenständigkeit

Das aber, genau das, sehen viele Staaten als ganz, ganz massive Bedrohung ihrer Existenz. Das gilt nicht nur für Russland, auch nicht nur für China, das ist auch in Afrika das Problem. Warum hat die Europäische Union, warum haben die Staaten des globalen Westens und Nordens so viel Einfluss in Afrika verloren? Weil man sich in durch das Menschenrechtsregime oder die Menschenrechtsideale in seinen eigenen kulturellen Traditionen bedroht sieht. Das, was also das vierte Element des gerechten Friedens darstellt, nämlich die Anerkennung kultureller Eigenständigkeit, wird an dieser Stelle in Frage gestellt. Man mag dazu unterschiedliche Stellungen einnehmen. Ich werde doch ziemlich engagiert die europäische Menschenrechtsordnung verteidigen. Gleichzeitig aber muss ich anerkennen, dass das andere anders sehen. Und diese Frage müssen wir in der Friedensethik stärker berücksichtigen und dabei auch kritisch fragen, sind wir nicht eigentlich blind geworden für unsere eigenen Unabgeglichenheiten?

Wir müssen sehen, dass dieses scheinbare Eintreten für Menschenrechte in den Konflikten im Irak, aber auch in Afghanistan massiv diskreditiert worden ist, weil wir es nicht vermocht haben, das wirklich auch so zu machen, dass wir unser Verhalten an den eigenen Maßstäben vermessen konnten, sondern wir sind unter unseren eigenen Ansprüchen geblieben. Und das hat diesen Menschenrechtsgedanken massiv diskreditiert. Es kommt wieder das herauf, was die Kirchen, was die Gesellschaften des Südens schon überhaupt gegen das Menschenrechtsregime vorgebracht haben. Und das ist nichts anderes als ein subtiles Herrschaftsinstrument des Westens, der uns damit irgendetwas aufoktroyieren möchte, was wir aber nicht möchten. Parallel dazu ist unsere Herausforderung jetzt die Friedensethik an genau diese Frage anzupassen. Und das ist äußerst schwierig, weil wir eigentlich davon ausgehen, im Nachklang dieses russische Puppenbildes, dass doch eigentlich das Recht, das umfassende Recht darstellt, mit dem Gott die Welt regiert. Das Dumme an der Geschichte ist nur, dass wir uns gleichzeitig auch dazu aufgeschwungen haben zu sagen, und wir sind diejenigen, die den Willen Gottes zum Ausdruck bringen.

Was gibt es Weiterzuentwickeln?

Und an der Stelle ist sehr viel mehr Demut auch unserer eigenen Traditionen nötig, um hier aus dem aus dem Problem herauszukommen. Was gibt es weiterzuentwickeln? Was müssen wir sehen? Wir müssen wahrscheinlich zu einem Prinzip kommen, was es ermöglicht, begrenzte Ordnungsmodelle nebeneinander bestehen zu lassen. Das kommt uns im Augenblick ganz merkwürdig vor, weil wir eben dazu neigen, in universalen Kategorien zu denken. Vielleicht erinnern Sie sich noch, dass ich am Anfang des Vortrags eine kleine Spur versucht habe zu legen, dass die Sünde darin besteht, die eigenen Grenzen nicht anzuerkennen. Ich denke, auch für unsere Ordnungsvorstellungen, so überzeugend wir sie finden wollen, müssen wir danach fragen, ob sie nicht in bestimmten historischen Konstellationen gewonnen worden sind, in denen entstanden sind und dann ihre Plausibilität auch nur unter diesen Bedingungen entfalten können, so dass wir dann sagen müssen, wir akzeptieren, dass andere andere Ordnungsmodelle haben und verteidigen gleichzeitig unsere eigenen. Diese Spannung ist es, die wir friedensethisch durchdiskutieren müssen. Und dann kommt man zu der schwierigen Frage, ob das möglicherweise auch bedeutet und bedeuten muss, dass man den Expansionsbestrebungen anderer entgegentreten muss.

Wenn man es aber sich so einmal klar macht, dann glaube ich, muss man nicht notwendig zum Versteher der russischen Aggression werden. Man kann aber verstehen, dass hier zwei Prinzipien miteinander streiten, die unabdingbar eigentlich mit dem gleichen Problem agieren, nämlich dass sie jeweils versuchen, das eigene Ordnungsprinzip absolut zu setzen. Und in dieser Perspektive und in dieser Spannung müssen wir, wenn wir realistisch auf die Welt blicken, unsere Bemühungen um Frieden entfalten. Und das bedeutet, dass wir auf der einen Seite alles daran setzen müssen, den Konflikt sozusagen einzufrieren. Aber gleichzeitig wahrscheinlich doch, obwohl es uns wahnsinnig schwerfällt, zurückkehren müssen in eine Politik der gegenseitigen Abgrenzung, die auch die gegenseitige Abschreckung mit einbezieht. Ohne das wird es vermutlich nicht gehen, so dass an dieser Stelle wir eine gegenseitig gesicherte, sozusagen Unkalkulierbarkeit der Übertretung der Grenzen von Ordnungsmodellen haben. Jetzt werden Sie sagen, das ist aber doch wenig befriedigend, weil vor allem wenig friedlich. Ich glaube, das stimmt. Dem kann man überhaupt gar nicht entgegentreten.

Krieg muss (wieder) unkalkulierbar werden

Das bleibt irgendwie ein Stachel im Fleisch einer Ethik, einer Überzeugung, die eigentlich davon ausgehen wollte, dass wir die Institution des Krieges überwinden können. Ich fürchte, wir müssen uns damit abfinden, dass wir die Institution des Krieges nur insoweit überwinden können, als wir sie unkalkulierbar machen können, so dass es nicht sinnvoll ist und dass es nicht sinnvoll erscheint, die eigenen Grenzen auszuweiten, weil der Verlust, den man damit erreichen könnte, zu hoch ist. Allerdings, und auch das müssen wir friedensethisch weiter durchdenken, gehört dann auch soweit Realismus dazu, dass diese Überlegungen wie überhaupt die Überlegung auf gegenseitige Abschreckung getragen ist davon, dass die andere Seite realistisch und nüchtern ins Kalkül gehen will. Und das ist eine Frage, die wir im Augenblick nicht wirklich beantworten können. Es fällt uns schwer, belastbare Informationen darüber zu bekommen, ob die russische, aber auch ob die chinesische Seite eigentlich wirklich ein Risiko-Kalkül im Blick auf die eigenen Kriegsziele und den eigenen Ressourceneinsatz aufbringt, oder ob sie nicht getrieben ist von einer Vorstellung, die wir in den totalitären Systemen des Nationalsozialismus auch erlebt haben, nämlich dass man bereit ist, für die eigenen Interessen im Grunde alles zerstörerisch zu opfern.

Das war ja die Strategie der Nationalsozialisten nach der Kriegswende von Stalingrad. Und das wissen wir im Augenblick nicht genau, und deswegen wissen wir nicht, was da ausgehen kann. Ich glaube aber, in der in der Abschätzung und in der Weiterentwicklung der Friedensethik müssen wir in diesen Perspektiven denken. Das schließt dann ein, dass wir die Frage, dass wir die Frage stellen müssen, wie viel Ressourcen brauchen wir, um glaubhaft ein Aufrechterhalten und auch ein Bollwerk gegen Übergriffe anderer auf unsere eigene Ordnung aufrechterhalten zu können? Wie viel Rüstung ist dazu notwendig? Und dann natürlich auch die ganz heiklen Fragen, welche Art von Rüstung ist das für notwendig? Brauchen wir dafür autonome Waffen? Brauchen wir dazu nukleare Waffen? Alles das sind Fragen, die neu kommen und die man in meinen Augen aus einer friedensethischen Perspektive neu bedenken muss. Das meine ich alles mit Realismus. Ich habe Ihnen versprochen, dass der letzte Teil ziemlich kurz ist und der soll auch kurz sein. Aber er soll gleichzeitig auch Hoffnung machen, denn dieser Realismus ist ja auch irgendwie was ganz Finsteres. Man verliert irgendwie den Glauben an die positiven Kräfte. Ich glaube, das muss nicht so sein.

Was wir überlegen können, ist, dass wir auch hier das Potenzial, wie der Glaube überhaupt zum Handeln motiviert, nochmal nutzen können. Und darin ist es, glaube ich, schon richtig und wichtig, sich an die Differenzierungen der Sicht vom Menschen, wie wir sie in den Schriften der biblischen Bücher haben, zurück zu erinnern. In diesen Schriften geht es um eine realistische Anthropologie. Der Mensch wird nicht verklärt, aber er wird auch nicht in den Boden gestampft. Er ist nicht einfach nur das Böse, aber er ist auch das Böse. Und diese beiden Sachen zu balancieren, darüber kann eigentlich das biblische Menschenbild aufklären. Aber, es kann vor allem auch an einer Stelle vor so einem Defätismus bewahren, dass nämlich darin gesagt ist, der Gedanke, dass dieses Böse irgendwie überwunden werden soll und dass wir darauf nur eine Zielrichtung haben können das zu überwinden, möglichst zu versuchen, die Gewalt zu minimieren. Das sind alles die Dinge, die wir mit dem Christentum und mit dem christlichen Glauben weiter tradieren können. Zu diesen Sachen gehört dann auch, die christlichen Praktiken des Friedens wieder stärker in den Vordergrund zu rücken.

Gottesdienste als Vorbild

Mir ist hier über die Zeit etwas immer wichtiger geworden danach. Zunächst der nach innen, aber möglicherweise auch nach außen gerichtete Ort des Gottesdienstes. Gottesdienste haben einen enormen Beitrag zum Miteinander von verschiedenen Menschen. Es gibt kaum eine Sache in unserem Leben, in dem wir so mit anderen Menschen, die wir uns vorher nicht aussuchen können, in Kontakt kommen wie im christlichen Gottesdienst. Und gleichzeitig uns als eine egalitäre Gemeinschaft verstehen. Jetzt werden Sie vielleicht sagen Was erzählst du mir hier für grundlos vollkommen naive Vorstellungen? Bei uns in der Kirche kommen sowieso nur die, die sich immer schon kennen. Aber das stimmt nicht. Denn es gibt immer wieder Leute, die neu hereinkommen. Und die Praktiken, die wir eingeübt haben, bis hin zur gemeinsamen Feier des Herrnmahls, bestehen doch darin, Gemeinschaft über alle Grenzen der Herkunft, auch des individuellen Glaubens zu praktizieren. Niemand weiß, was eigentlich der und die, die neben mir in der Kirche sitzt, wirklich denkt und glaubt. Und dennoch integrieren wir sie, haben bestimmte Formen gefunden, mit denen man zusammenleben kann. Und diesen Gedanken weiterzuführen, trotzdem Praktiken zu finden, in denen wir auch mit denen in Kontakt kommen, in Praktiken kommen, die wir eigentlich schwierig finden. Da glaube ich, können die christlichen Rituale und darin insbesondere der Gottesdienst, aber natürlich auch das Gebet, die Fürbitte ihren Beitrag leisten. Und dann gibt es noch eine eine Dimension, die wir auf der theoretischen Ebene mit einbringen können. Das, was ich gesagt habe, das nebeneinander Bestehen von verschiedenen Ordnungsmodellen, die sich akzeptieren und respektieren, ist ja nichts anderes als das, was wir im Kontext der Debatte um die Absolutheit des Christentums gelernt haben. Wie waren wir davon überzeugt, dass das Christentum die einzig richtige Religion ist? Und wie sehr haben wir doch gelernt zu akzeptieren, dass es auch andere Religionen gibt, die wir als gleichberechtigt anerkennen müssen. Und dort haben wir Formen entwickelt zum interreligiösen Dialog und auch zur interkulturellen Debatte. Das ist alles noch nicht perfekt, aber es sind Dinge, an die wir anknüpfen können und die wir als Religionsmenschen einzubringen haben.

Jesu Forderungen nicht aufgeben

Und ein Allerletztes. Diese Hoffnungsperspektive ist diejenige, die allein die Perspektive Jesu ist. Jesu Forderung nach der besseren Gerechtigkeit fordert Christinnen und Christen auf, sich mit dem Status quo nicht abzugeben, auch wenn der realistische Blick notwendig bleibt. Jesus hat einen realistischen Blick auf die Verhältnisse seiner Zeit. Er ist kein Visionär und er ist auch nicht illusionsgeleitet, sondern durchaus realistisch, aber hat eine klare Message, gebt euch nicht mit dem zufrieden was ist, sondern tretet der Gewalt entgegen. Versucht das zu minimieren, versucht zumindest die Gewalt einzuhegen. Und dieses sich nicht mit dem Vorhandenen abzugeben ist es, was wir vielleicht für die Politik im Augenblick brauchen, nämlich auch unerwartete Züge des Politischen zu machen, Kompromisse zu schließen, wo sie im Augenblick vielleicht auch gerade aus der Rechtsordnung sinnlos zu sein scheinen, möglicherweise etwas zu tun, was nicht erwartbar ist. Und in dieser Perspektive neue Türen zu öffnen für eine Auseinandersetzung und auch konkret in der Ukraine, für Verhandlungen, die uns einem Ziel des Friedens näher bringen. Aber zu diesen Verhandlungen, damit will ich schließen, gehört auch, sich realistisch darüber aufzuklären, dass wir nachher für das Ergebnis dieser Verhandlungen werden einstehen müssen. Und da müssen wir nach innen hin noch viele Diskussionen führen, was uns die Garantie eines solchen Rechts, was ja am Ende eines Verhandlungsfriedens stehen würde, was uns die wirklich wert ist. Das sind die Fragen, die es zu diskutieren gilt.