Nähe und Distanz (7/7)

[30.06.2020]

Nähe und Distanz, diesen Titel haben wir im Redaktionsteam für den Gemeindebrief ausgewählt. Auf den folgenden Seiten stellen wir verschiedene Aspekte dieses Themas dar! Viel Freude und vielleicht auch die eine oder andere Anregung beim Lesen!

Nähe und Distanz

Wenn Sie diese Zeilen lesen, dann haben wir – hoffentlich – schon einige weitere Schritte in Richtung der vielbeschworenen „Normalität“ getan und können vielleicht schon etwas gelassener auf das Thema Coronavirus blicken. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Thema dieses Gemeindebriefs „Nähe und Distanz“ auch in der Beschäftigung mit diesem Virus entstanden ist, aber darum soll es hier nicht gehen.

Vielmehr sind die Begriffe Nähe und Distanz zwei Begriffe, die in der Kommunikationspsychologie von Bedeutung sind. Das Begriffspaar „Nähe und Distanz“ beschreibt, gemeinsam mit dem Paar „Dauer und Wechsel“ zwei Achsen, die die so genannten Grundtendenzen der Persönlichkeit definieren.

Damit wird gesagt, dass wir Menschen uns in unserer Persönlichkeitsstruktur zwischen dem Wunsch nach Nähe und dem Wunsch nach Distanz bewegen und ebenso zwischen dem Wunsch nach Dauer und dem nach Wechsel. Oft spricht man bei Nähe und Distanz auch von introvertierten oder extrovertierten Persönlichkeiten, bei Dauer und Wechsel von strukturierten oder unstrukturierten Persönlichkeiten. Es wäre aber zu kurz gegriffen, sich Menschen nur als die jeweiligen Extrempole vorzustellen, also als einen „Nur-Dauer-Menschen“ oder als einen „Nur-Distanz-Menschen“. Nein, wir sind als Persönlichkeiten komplexer angelegt und können alle diese Ausprägungen in unterschiedlicher Stärke in uns vereinen. So kann jemand, den man eher als introvertiert erlebt, in bestimmten Situationen durchaus aus sich herausgehen und dann sogar einen hohen Grad an Extrovertiertheit zeigen. Es lohnt sich, einmal über sich selbst nachzudenken und sich zu überlegen: Wo würde ich mich denn einordnen, auf diesen beiden Persönlichkeitsachsen:

  • NÄHE ——————————————- DISTANZ
  • DAUER —————————————— WECHSEL

In welchen Situationen bin ich eher auf der einen und in welchen eher auf der anderen Seite? In der Beziehung? In der Familie? Bei Freunden? Im Beruf? usw…

Es kann spannend sein, sich selber ein wenig zu beobachten.

Und spannend ist dann auch die Frage: Bin ich mit meiner Persönlichkeit in der jeweiligen Situation zufrieden… oder wünsche ich mir eine Veränderung?

Auch dazu gibt es in der Kommunikationspsychologie ein interessantes Modell: Das so genannte Werte- und Entwicklungsquadrat.
Bleiben wir, um dieses Modell zu erklären, wieder bei unseren Ausgangsbegriffen Nähe und Distanz.

Das Werte- und Entwicklungsquadrat würde sagen, es ist ein positiver Wert, Nähe zeigen zu können und Nähe haben zu wollen.
Es ist aber auch ein positiver Wert, auf Distanz gehen zu können und Distanz auszuhalten. Ein positiver Gegenwert, einer, der das Gesamtsystem in einem Gleichgewicht hält sozusagen. Nicht nur Nähe ist gut und nicht nur Distanz. Wenn ich sehr stark und in vielen Situationen aber in eine Richtung tendiere, dann bin ich vielleicht gefährdet, den an sich positiven Wert zu übertreiben, zu ent“werten“.

Aus Nähe wird so vielleicht manchmal „Anbiederung“ oder „Aufdringlichkeit“… aus Distanz wird vielleicht „Einsamkeit“ oder „Menschenfeindlichkeit“. Oft entwickelt man sich zu sehr in eine Richtung, weil man der anderen gegenüber zu kritisch ist. Man wird also möglicherweise zum Menschenfeind, weil man aufdringliche Menschen nicht leiden kann und viele Menschen schnell so erlebt. Dann – so sagt das Modell – ist es gut, sich zu fragen, ob man nicht den positiven Wert überkritisch sieht, nur um den eigenen zu rechtfertigen? Dass man also sehr schnell jemanden als aufdringlich bezeichnet, weil man selber sich schwer damit tut, mit anderen in Kontakt zu kommen, sich anderen zu „nähern“.

Oder – um auch die Pole „Dauer“ und „Wechsel“ noch einmal zu beleuchten – man ist selber jemand, der sehr auf Dauer, auf Beständigkeit Wert legt und daher sieht man Menschen, die eher Ab“wechslung“ lieben, sehr schnell als unzuverlässige Mitmenschen, als „Fähnchen im Wind“.

Man könnte sich aber auch fragen, ob man nicht manchmal selber gut daran täte, genau hinzuschauen, ab wann die eigene Beständigkeit und Zuverlässigkeit vielleicht in Richtung Sturheit geht und ob etwas mehr Flexibilität nicht auch mal gut täte?

Genau darum hat dieses Modell auch den Begriff „Entwicklung“ im Namen. Weil man damit erkennen kann, wohin man sich entwickeln könnte, wenn eine Tendenz möglicherweise zu dominant wird. Wer weiterlesen will: Es gibt auf dem Büchermarkt Unmengen von Büchern, die sich als Ratgeber verkaufen, die meisten gibt es hauptsächlich und tatsächlich auch nur zu dem einen Zweck, nämlich dem, sich gut zu „verkaufen“.

Qualität bietet in jedem Fall ein Kommunikationsklassiker:

  • Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 1 – 3
    Marketingorientierter in Aufmachung und Sprache sind die Bücher von Vera Birkenbiehl (z.B. „Kommunikationstraining“), aber auch sie haben eine solide und seriöse Grundlage. Viel Spaß beim Lesen!

Hartmut Schwaiger