Menschen in wirtschaftlicher Not

[24.06.2021]

Das Risiko durch soziale Netze zu fallen ist seit Beginn der Pandemie gestiegen, mehr Menschen denn je leben derzeit in instabilen und unsicheren Verhältnissen. Für viele ist die wirtschaftliche Not zeitlich begrenzt: Sie schaffen es, nach unvorhersehbaren Ereignissen des Lebens (wie beispielsweise Krankheit, Jobverlust oder Scheidung) wieder neu durchzustarten. Vielen anderen jedoch ist es über Jahre nicht möglich, der Situation von Mangel am Lebensnotwendigsten und den dadurch stark eingeschränkten Lebenschancen zu entkommen.

Welche Anliegen haben Menschen, die sich in akuten Notlagen an unsere evangelische Pfarrgemeinde wenden? In den meisten Fällen geht es um finanzielle Unterstützung, aber die allein wäre zu wenig. Viel wichtiger ist es, zuerst einmal zu hören, was diese Menschen bewegt – nur so kann sich Mitgefühl entfalten, welches dann ermöglicht, gemeinsam effiziente Hilfsmaßnahmen zu entwickeln. Ein kleiner Einblick in die Lebenssituation von Menschen, die ich in den letzten beiden Jahren als Diakoniebeauftragte begleiten durfte:

Frau N schildert

„Ich bin Mindestrentnerin und lebe in einer klei- nen Gemeindewohnung. Wenn ich Miete, Strom und die Rate für meine Schulden bezahlt habe, dann bleiben mir monatlich € 160,- für das, was ich täglich zum Leben benötige. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal im Kino oder Konzert war. Zwei Mal im Jahr erhalte ich eine doppelte Pension – da leiste ich mir dann meistens neue Kleidungsstücke oder Schuhe, die ich mir beim Second-Hand-Laden aussuche. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel Freude ich mit diesen neuen Sachen habe!

Wenn das Geld zum Monatsende so knapp wird, dass ich mir nicht einmal mehr Lebensmittel kaufen kann, dann darf ich mir bei Yvonne oder beim Herrn Pfarrer Lebensmittelgutscheine holen. Sie können sich wahrscheinlich nicht vorstellen, wie schwer es mir fällt, um diese Hilfe zu bitten….  Jetzt hat mein alter Herd den Geist aufgegeben und ich kann mir keinen neuen Herd leisten. Dass mir die Pfarrgemeinde jetzt einen neuen Herd besorgt! Ich kann ́s gar nicht fassen, dass ich dafür nicht einmal etwas zahlen muss! Ein herzliches Vergelt ́s Gott euch allen!“

Herr W. erzählt

„Ich habe bisher immer gut verdient und noch nie war ich mit der Zahlung der Alimente für meine beiden Kinder und meine geschiedene Frau im Rückstand. Durch die Pandemie habe ich meinen Job im Gastgewerbe verloren – jetzt bin ich das erste Mal von staatlichen Sozialleistungen abhängig und bekomme Arbeitslosengeld. Einerseits bin ich froh, dass wir in Österreich ein gut ausgebautes soziales Netz haben – aber haben Sie schon einmal über mehrere Monate hinweg ohne Arbeit ausharren müssen, obwohl sie arbeiten wollen? Es ging mir in den letzten Monaten immer schlechter und ich konnte mich nicht einmal mehr dazu aufraffen, mich auf Vorstellungsgespräche ordentlich vorzubereiten. Außerdem will mich eh keiner mehr haben, weil ich mit 52 Jahren schon „zu alt“ bin – das hat mir zumindest mein AMS- Betreuer so gesagt…. Jetzt steht mir das Wasser bis zum Hals: Die Alimentationszahlungen und die offenen Mieten – wie sollte ich das alles zahlen? Vom AMS-Geld geht sich das alles nicht mehr aus, dabei leiste ich mir selber eh schon lange keine Extras mehr….
Nie wäre ich auf die Idee gekommen, meine Sorgen bei Ihnen abzuladen, hätte mich nicht euer Pfarrer dazu bestärkt. Wisst Ihr eigentlich, wie gut das tut, wenn sich in so trostlosen Situationen jemand die Zeit nimmt, zuhört und dann auch noch finanzielle Hilfe anbietet? Ich weiß gar nicht, wie ich euch das jemals zurückgeben kann, was ihr schon alles für mich getan habt……“

Unweigerlich fällt mir das Gleichnis vom „Barmherzigen Samariter“ ein – er erkannte die Notlage des verletzten Mannes und barmherzig nahm er sich seiner an. Barmherzig zu sein bedeutet für mich vor allem, dem Hilfesuchenden vorbehaltlos – ohne „Ansehen seiner Person“ – zu begegnen. Jeden Menschen so anzunehmen, wie er eben ist, ist vielleicht die wichtigste Voraussetzung dafür, dass Menschen Vertrauen fassen und sich mit ihrer Bitte um Hilfestellung überhaupt an uns wenden können. Ihnen in einem zweiten Schritt materielle Hilfe anzubieten und sie so aus ihrer vermeintlichen Ausweglosigkeit und existentiellen Sorge herauszuholen, dazu braucht es die Unterstützung von uns allen – jede*r von euch trägt ihren/seinen Teil dazu bei!

Danke für eure Bereitschaft, für in Not geratenen Mitmenschen in so vielfältiger Weise da zu sein!

Dr. Edda Böhm-Ingram