Die kleine Maus

[26.06.2021]

Eines schönen Morgens ging Lucy hinaus ins Freie, um ihren schönen Garten zu betrachten. Die Blumen blühten und die Sonne war schon aufgegangen. Es war sehr warm und nachdem es in der Nacht geregnet hatte, war die Luft voll vom Duft des frischgeschnittenen Grases und den Kräutern, die in ihrem Garten wuchsen, erfüllt. Lucy setzte sich auf einen Sessel, der mitten im Garten in einem kleinen Paravent stand und atmete tief die Düfte ein. Angenehm und ruhig war es. Naja nicht ganz so ruhig, weil all die Vögel in den Bäumen ihr Lied trällerten und damit beschäftigt waren ihre Nester zu bauen.
Plötzlich kam Lucys Katze auf sie zu und schmiegte sich an ihren Beinen entlang. „Na Kleiner, schon munter?“, fragte Lucy und musste lächeln. Der kleine Tiger hieß Charly, er hatte ein braunes Fell mit schwarzen Streifen und war ein kleiner Frechdachs, aber sehr süß! Lucy kraulte ihn am Ohr und Charly begann genüsslich zu schnurren und legte sich vor sie auf den Rücken hin, damit sie ja nicht damit aufhörte. „Wie wäre es mit einem Schälchen Milch? Ich hole dir eines“, sagte seine Besitzerin und ging ins Haus. Charly wusste genau, was jetzt los war und folgte ihr zum Hinter- eingang des Hauses. Lucy kam mit einem Schälchen Milch wieder heraus und stellte sie ihm hin. Charly schoss gleich auf sie zu und schleckte seine Milch, als ob er schon seit Tagen nichts mehr bekommen hätte.

Einige Zeit späte verschwand Charly wieder und Lucy machte sich daran, Unkraut aus ihren Beeten zu jäten und Schnecken aus ihrem Garten zu entfernen. Plötzlich hörte sie einen lauten Schrei und ging nachsehen, was denn los war. Emilie, die Tochter von Lucy stand ganz aufgeregt am Gartenzaun und war gerade dabei Charly zu verscheuchen. „Aber Emilie, was ist den los? Hat dich der Kater gekratzt?“, fragte sie besorgt.

„Nein, aber er wollte die kleine Maus töten!“, rief sie entrüstet. Tatsächlich kauerte eine ganz kleine Maus komplett verängstigt in der Ecke des Gartenzauns und zitterte am ganzen Leib. Das arme Ding hatte bereits eine Schürfwunde von Charly davongetragen. Charly saß beleidigt auf der anderen Seite des Gartenzaunes und sah Emilie böse an. „Tja, er ist eben ein Kater, Emilie, und die jagen eben Mäuse“, versuchte Lucy ihre Tochter zu beruhigen. „Aber die arme kleine Maus! Sieh sie dir nur mal an! Wieso macht denn Charly sowas?“, antwortete Emilie noch ganz außer sich. „Weißt du Emilie, Katzen sind Raubtiere und alles, was klein ist und sich bewegt, wird zu ihrer Beute. Das ist der Lauf der Natur. Stell dir vor, kein Tier würde die Mäuse jagen, dann hätten wir binnen ein paar Jahren tau- sende Mäuse hier im Garten. Aber du hast recht, es ist nicht schön, wenn man dabei zusehen muss, wie sie gejagt werden. Und zum Glück lässt Charly die Vögel in Ruhe“, sagte Emilies Mutter. Lucy schickte Emilie in die Küche um ein Tuch, damit sie die kleine Maus draufsetzen konnte. Lucy hatte Mitleid mit der Maus, aber auch mit ihrer Tochter, und so nahmen sie das kleine verängstigte Tier mit und setzten es in einen kleinen Karton, legten ein paar Körner dazu und beobachteten sie.

„Glaubst du, sie wird sich wieder erholen, Mama?“, fragte Emilie. „Natürlich. Wenn der Schock vorbei ist, und dann können wir ihr ja einen schönen Platz am Waldrand suchen, wo sie sich besser vor Charly verstecken kann“, antwortete Lucy mitfühlend.

Einige Zeit später begann sich die kleine Maus wieder zu bewegen und fraß sogar ein paar Körner. Etwas erleichtert begann Emilie wieder zu lachen und fragte, ob sie denn die Maus behalten dürfe, aber Mama sagte, dass sich das kleine Geschöpf in Freiheit sicher wohler fühlen würde als in einem Käfig auf und ab zu laufen. Schließlich stimmte Emilie zu und beide gingen Hand in Hand und mit dem Karton zum Wald, um ein geeignetes Plätzchen zu finden.
Nach ein paar Tagen, als Emilie von der Schule heimkam, war sie sich sogar sicher, dass es die gleiche Maus war, die am Straßenrand hockte und sie ansah, ohne wegzulaufen. „Weißt du Mama, wie wenn sie nochmal ‚Danke‘ sagen wollte“, freute sich das Mädchen.

Aus Mitleid haben Emilie und Lucy die kleine Maus gerettet. Aber es gibt auch unter den Menschen viele, die anderen Menschen helfen wollen und können. Mit jemand anderem Mitleid zu haben, wird vielleicht von anderen belächelt oder sogar abgelehnt, aber im Endeffekt ist es etwas Großartiges, das man tun kann, um anderen zu zeigen, dass man in Leid und Not für sie da ist.

Denkt nur an den barmherzigen Samariter, oder auch an Gott, der mit uns Menschen mitfühlt und auch Mitleid mit uns hat und uns deswegen immer hilft und uns nahe ist.

Ich wünsche Euch einen schönen Sommer
Eure Yvonne