Meinungsfreiheit ist nicht verhandelbar

[08.07.2021]

Umweltinstitut München e.V.: Unerwünschte Kritiker:innen vor Gericht zu zerren ist ein Vorgehen, das wir aus autoritären Staaten kennen. Doch auch bei uns landen immer häufiger Menschen vor Gericht, die ökologische und soziale Missstände anprangern. Unternehmen, Regierungen und mächtige Einzelpersonen versuchen, kritische Stimmen mit sogenannten SLAPP-Klagen („strategic lawsuits against public participation“) zum Schweigen zu bringen. Auch das Umweltinstitut ist betroffen: Wegen unserer Aufklärungskampagne über den Pestizideinsatz in Südtirol stehen wir in Italien vor Gericht.

Fordern Sie die Vizepräsidentin der EU-Kommission Vera Jorouvá und den EU-Justizkommissar Didier Reynders jetzt auf, SLAPPs in Europa den Riegel vorzuschieben. Denn die Wahrheit zu sagen ist kein Verbrechen! Hier können Sie die Initiative unterstützen!

Immer öfter werden Gesetze und Gerichte missbraucht, um diejenigen anzugreifen, die im öffentlichen Interesse auf Missstände aufmerksam machen. Mit sogenannten SLAPP-Klagen (SLAPP = „strategic lawsuits against public participation“, also strategische Klagen gegen die öffentliche Beteiligung, „slap“ bedeutet im Englischen zudem „Ohrfeige“) versuchen Unternehmen, Regierungen und mächtige Einzelpersonen, ihre Kritiker:innen zum Schweigen bringen.

Nicht nur Umweltschützer:innen bekommen regelmäßig die SLAPP-Ohrfeige verpasst, sondern auch Journalist:innen, Wissenschaftler:innen, Vertreter:innen von Gewerkschaften und viele andere Stimmen einer kritischen Öffentlichkeit. Erste Erkenntnisse einer Untersuchung von Greenpeace International und der Universität Amsterdam weisen darauf hin, dass SLAPPs auch in Europa stark zugenommen haben. Anhand einer Auswahl von 215 Fällen aus zehn Jahren wurde zwischen 2017 und 2018 ein Anstieg um 27 Prozent und zwischen 2018 und 2019 sogar von 75 Prozent festgestellt.

SLAPPs sollen dabei nicht nur die betroffenen Personen einschüchtern, sondern uns alle. Denn je beliebter solche missbräuchlichen Klagen werden, desto eher werden sich Menschen fragen, ob sie das Risiko eines teuren Gerichtsprozesses und existenzbedrohender Schadenersatzzahlungen wirklich eingehen wollen, bevor sie ökologische, soziale oder andere Missstände öffentlich kritisieren. Dieser sogenannte „chilling effect“ ist keine zufällige Nebenwirkung von SLAPP-Klagen, sondern deren ausgemachtes Ziel. SLAPPs sind ein direkter Angriff auf grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, kritische Berichterstattung und Protest. Sie bedrohen die Demokratie im Kern.

Was es bedeutet, mit einer SLAPP-Klage überzogen zu werden, wissen wir im Umweltinstitut ganz genau. Denn wir befinden uns mitten in einem aufwändigen und teuren Gerichtsverfahren, das der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler gegen uns angezettelt hat. Unser angebliches „Verbrechen“: 2017 machten wir die Öffentlichkeit auf den hohen Einsatz von Spritzmitteln in den Südtiroler Apfelmonokulturen aufmerksam und warnten vor den negativen Folgen des Pestizideinsatzes für Gesundheit und Artenvielfalt. Dafür zeigte uns der Landesrat wegen vermeintlicher übler Nachrede an und brachte über 1370 Obstbäuerinnen und -bauern aus der Region dazu, sich der Anzeige gegen uns anzuschließen. Statt auf unsere Kritik konstruktiv zu reagieren, versuchten Arnold Schuler und die Vertreter:innen der Südtiroler Obstwirtschaft, uns gerichtlich einen Maulkorb zu verpassen. Natürlich ließen wir uns nicht mundtot machen, sondern sorgten dafür, dass Menschen in ganz Europa von Südtirols Pestizidproblem und dem Umgang mit Kritiker:innen erfuhren.

SLAPPS: Wie ein Schlag ins Gesicht

In der englischen Abkürzung (slap; Ohrfeige, Schlag ins Gesicht) wird die Wirkung solcher Klagen auf die Betroffenen deutlich.
Zwar ist es nicht gelungen, uns zum Schweigen zu bringen. Trotzdem hat der Südtiroler SLAPP seine Wirkung nicht verfehlt. So spüren wir im Umweltinstitut täglich die Auswirkungen der Klage. Seit wir uns vor über einem Jahr auf den Prozessauftakt vorbereiten mussten, waren wir gezwungen, viel Geld, Zeit und Energie in unsere Verteidigung zu stecken. Denn obwohl die Gegenseite nach einem Aufschrei der Öffentlichkeit bereits mehrfach versprochen hat, die Anzeigen fallen zu lassen, sitzt unser Agrarreferent Karl Bär nach wie vor in Bozen auf der Anklagebank. Die Zeit und das Geld, die wir in den sogenannten „Pestizdprozess“ stecken müssen, fehlen uns an anderer Stelle. Genau das soll ein SLAPP erreichen: Bei einer solchen Einschüchterungsklage geht es denjenigen, die sie anzetteln, nicht in erster Linie darum, vor Gericht Recht zu bekommen, sondern darum, die finanziellen und zeitlichen Ressourcen der Angeklagten zu erschöpfen, sie psychologisch zu zermürben und sie so von ihrer Arbeit abzuhalten.

Giftige Klagen

Juristische Attacken gegen Menschen, die für eine pestizidfreie Landwirtschaft kämpfen, scheinen in Europa Schule zu machen. So wurde die französische Anti-Pestizid-Aktivistin Valérie Murat in erster Instanz zu über 125.000€ Schadensersatz verurteilt, weil sie auf Pestizid-Rückstände in Bordeaux-Weinen aufmerksam gemacht hatte. Dafür hatte sie der Branchenverband für Bordeaux-Weine (Conseil interprofessionel du vin de Bordeaux, kurz CIVB) wegen angeblicher Verunglimpfung (denigrément) vor Gericht gezerrt. In einem ähnlichen Fall wurde der österreichische Umwelt- und Tierschützer Franz Sölkner kürzlich vom Bezirksgericht Graz-Ost wegen eines pestizidkritischen Plakats schuldig gesprochen, das dem ÖVP-Bauernbund Steiermark ein Dorn im Auge war. Franz Sölkner ist es nun per gerichtlichem Dekret verboten worden, der „Landwirtschaft zu unterstellen, sie fördere den Einsatz von Gift“.

Selbst wenn die Vorwürfe haltlos sind und die Betroffenen von SLAPP-Klagen in höherer Instanz freigesprochen werden, können die Spuren der Gerichtsverfahren nicht ungeschehen gemacht werden. Denn jahrelange Prozesse rauben den Betroffen Zeit, Nerven und oftmals nicht unerhebliche Summen an Geld.

Quelle: Umweltinstitut München e.V., Verein zur Erforschung und Verminderung der Umweltbelastung

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