evangelisch – katholisch ?

[2017-07-06]

Um es vorweg ganz deutlich zu sagen: Die evangelische und die römisch-katholische Kirche eint viel mehr als sie trennt. Gerade das Gedenken an 500 Jahre Reformation soll das zeigen, wenn wir gemeinsam darüber nachdenken, wie das Anliegen der Reformatoren, die Kirche an Jesus Christus auszurichten, Gestalt gewinnen kann. Vielen Menschen ist es heute gar nicht mehr wirklich begreiflich zu machen, warum sich die Kirchen nicht einigen können. Der folgende Beitrag ist daher ein Versuch, von konkreter praktischer Erfahrung mit unseren Kirchen auszugehen und daran deutlich zu machen, welche unterschiedlichen Sichtweisen zu manchen Themen sich herausgebildet haben.

Erfahrungen mit dem Kirchenraum:

Sitzplätze – oder: Pfarrer, Pfarrerinnen und Priester

Wenn ich als Evangelischer eine römisch-katholische Kirche betrete, fallen mir schon am Kirchenraum viele Besonderheiten auf, die solche unterschiedlichen Sichtweisen deutlich werden lassen: Im Altarraum stehen Sedilien, also die Sitze für den Priester und weitere Mitwirkende an der Liturgie. Fast überall ist der Platz für den Priester größer, höher oder in irgend einer Weise hervorgehoben. So wird rein optisch deutlich: Der Priester steht der Gemeinde gegenüber, er hat durch seine Weihe einen eigenen Status, nur er ist berechtigt, der Feier der Eucharistie vorzustehen.

In einer evangelischen Kirche sitzt der Pfarrer/die Pfarrerin in der Kirchenbank, es gibt in der Regel keine besonderen Plätze. Die Ordination zum Geistlichen beauftragt ihn mit der öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung, er erhält dadurch aber keinen anderen Status. Er ist lediglich der „Fachmann“, der den Auftrag hat, das Evangelium zu predigen. Die Ordination erfolgt durch den Bischof oder den Superintendenten (männlich oder weiblich gemeint) mit Gebet, Bitte um den Heiligen Geist und Handauflegung. Dennoch versteht sich der evangelische Pfarrer nicht als Priester in dem Sinne, dass nur er berechtigt wäre, irgendwelche heiligen Handlungen auszuführen. Umgekehrt anerkennt die römisch-katholische Kirche auch nicht die evangelische Ordination, weshalb sie auch meint, dass ein evangelischer Geistlicher nicht einer gültigen Eucharistiefeier vorstehen könne.

 Also schon an der scheinbar äußerlichen Gestaltung der Sitzplätze in der Kirche wird der wichtigste Unterschied zwischen evangelischer und römisch-katholischer Kirche deutlich: das unterschiedliche Amtsverständnis.

Der Zölibat der katholischen Priester

ist dagegen bekanntlich nur ein relativ spät eingeführtes Kirchengesetz, das ohne „dogmatischen Aufwand“ zu ändern wäre. Dennoch stand freilich die Aufhebung des Zölibats durch die Reformation mit ihrem Amtsverständnis in Zusammenhang: Der Pfarrer ist eben nicht herausgehoben aus den Lebenszusammenhängen der Welt, sondern genauso wie alle anderen Menschen hineingestellt in das Spannungsfeld von Beruf und Familie.

Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern

im geistlichen Amt ist hingegen keine Errungenschaft der Reformation, obwohl es im 16. Jh. bereits Ansätze dazu gab. Sie wurde – auch durchaus mühsam – im 20. Jh. erstritten und das auch keineswegs in allen evangelischen Kirchen. Selbst in Europa gibt es lutherische Kirchen, die keine Frauen als Geistliche zulassen. Für uns ist das ein großes Ärgernis, das zu massiven Spannungen z.B. im Lutherischen Weltbund führt, weil für uns die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im geistlichen Amt keine „Anpassung an den Zeitgeist“ ist, sondern aus der Praxis Jesu und den exegetisch nachweisbaren Apostelinnen im Neuen Testament die einzig mögliche Konsequenz darstellt.

 Tabernakel – oder: Die Gegenwart Jesu Christ

Bild: Jonathan Werner

Für den evangelischen Besucher in der römisch-katholischen Kirche springt der Tabernakel ins Auge, denn auch diesen gibt es in einer evangelischen Kirche nicht. Dahinter verbirgt sich eine unterschiedliche Sichtweise von der Gegenwart Christi in der Eucharistie, die allerdings oft missverstanden wird. Luther hat lediglich die mittelalterliche Transsubstantiationslehre abgelehnt, aber z.B. gegen Zwingli eisern daran festgehalten, dass im Sakrament des Altars „der wahre Leib und Blut unseres Herrn Jesus Christus, unter dem Brot und Wein uns Christen zu essen und zu trinken von Christus selbst eingesetzt“ ist (Kleiner Katechismus, 5. Hauptstück). Betonte Zwingli die Einsetzungsworte Jesu „Das tut zu meinem Gedächtnis“, war Luther das „Für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden“ das wichtigste Anliegen. Da Luther die Feier des Heiligen Abendmahls als „sichtbares Wort“, also als Teil der Verkündigung des Evangeliums verstand, bedeutet dies auch, dass die Gegenwart Jesu „in, mit und unter Brot und Wein“ an die Feier selbst gebunden ist. Eine nach der Feier im Brot fortgesetzte Gegenwart Jesu wird abgelehnt. Daher ist auch eine Verehrung des Leibes Christi im Brot unabhängig von der Eucharistiefeier nicht möglich, und genau das ist ja der Sinn des Tabernakels.

 Heute sind sich evangelische (und zwar sowohl lutherische als auch reformierte) und römisch-katholische Theologie darin einig, dass in der Feier des Heiligen Abendmahls (so der traditionelle evangelische Ausdruck) bzw. der Eucharistie (so der traditionelle römisch-katholische Ausdruck) die Gegenwart Jesu Christi ein Geheimnis ist, dem wir uns nur mit Bildern und Vergleichen annähern können. Dabei wird heute meist von „Personalpräsenz“ des Herrn gesprochen: Das, wofür er gelebt hat, gestorben und auferstanden ist, sein „Leib“, das ereignet sich, wenn Christinnen und Christen in seinem Namen und zu seinem Gedächtnis Brot und Wein mit einander teilen.

Noch drei Anmerkungen zur evangelischen Feier des Heiligen Abendmahls

  • Zunächst: Es war der Reformation eminent wichtig, den „Laienkelch“ einzuführen, d.h. die Kommunion von Brot und Wein für alle Mitfeiernden. Gerade aus der Geschichte des Erzbistums Salzburg wissen wir, welche Bedeutung diese Forderung der Evangelischen hatte. Die Ermöglichung der Kommunion unter beiderlei Gestalt durch das Zweite Vatikanische Konzil ist für uns überaus erfreulich und wir würden wesentlich mehr an Gemeinsamkeit mit der römisch-katholischen Kirche erleben, wenn sie zur sonntäglichen Praxis in den katholischen Gottesdiensten werden könnte.
  • Sodann: Seit vielen Jahren pflegt die evangelische Kirche eucharistische Gastfreundschaft. D.h., alle Christen ohne Rücksicht auf ihre konfessionelle Zugehörigkeit sind zur Feier des Hl. Abendmahls eingeladen. Der Einladende ist Christus selbst, und es steht uns nicht zu, Menschen abzuweisen.
  • Schließlich: Seit rund 15 Jahren gilt in der evangelischen Kirche in Österreich (wie in vielen anderen auch), dass alle Getauften zum Abendmahl eingeladen sind, d.h. auch die kleinen Kinder. Die Konfirmation ist nicht mehr die Zulassung zum Hl. Abendmahl. Mit dieser Form des „kinderoffenen Abendmahls“ haben wir nur die besten Erfahrungen gemacht.

 Beichtstühle – oder: Mit Gott ins Reine kommen

Die Beichtstühle in den römisch-katholischen Kirchen werden in unseren Breiten zwar nur noch selten benützt, sind aber doch auch ein sichtbarer Ausdruck für eine unterschiedliche Sichtweise zum Thema Beichte. Gerade im Bereich der Volksschulen ist das immer noch aktuell, weil es durchaus noch die Tradition der verpflichtenden Beichte gibt. Dies ist der evangelischen Kirche fremd. Das Angebot der Beichte gibt es dort in zwei Formen: Als Einladung zu einem persönlichen Gespräch, das mit einem Zuspruch der Vergebung verbunden sein kann, den übrigens jeder Christ geben kann und nicht nur der/die Pfarrerin. Und als „allgemeine Beichte“, die eine liturgische Gestalt in manchen Gottesdiensten hat. Dabei spricht der/die Pfarrerin stellvertretend für die Gemeinde ein allgemeines Beichtgebet, stellt die Beichtfrage, auf die die Gemeinde bejahend antwortet und spricht die Vergebung Gottes zu. Das kann auch mit einer Handauflegung verbunden werden.

Übrigens war in der Reformationszeit längere Zeit in der Schwebe, ob die Buße als drittes Sakrament zu gelten hat. Die Entscheidung fiel letztlich dagegen aus wegen der evangelischen Definition eines Sakraments: Es bedarf der Einsetzung durch Christus selbst, eines sichtbaren Zeichens und eines deutenden Wortes. Diese drei Kriterien treffen nur auf die Taufe und das Hl. Abendmahl zu – also doch nur zwei Sakramente.

Die Bibel – oder: Was ein Christ braucht

In einer evangelischen Kirche liegt immer eine aufgeschlagene Bibel auf dem Altar. Das ist sichtbarer Ausdruck dafür, dass sie allein die Grundlage des christlichen Glaubens ist. Alles andere an Glaubensaussagen muss immer an ihrem Maßstab geprüft werden. Das sieht die römisch-katholische Kirche anders: Dort hat die Tradition einen solchen Stellenwert, dass auch Dinge, die nicht biblisch begründet sind, zum Glaubenssatz gemacht werden können, wie z.B. die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel.

Maria und die Heiligen – oder: Wer uns vor Gott vertritt

Damit sind wir natürlich bei einer besonderen Auffälligkeit, wenn wir Kirchenräume vergleichen: Marien- und Heiligendarstellungen gibt es in evangelischen Kirchen nur dann, wenn sie aus dem Mittelalter stammen und kein Bildersturm stattgefunden hat. Darin spiegelt sich eine doch recht unterschiedliche Frömmigkeit: Die Anrufung von Maria oder Heiligen empfinden viele Evangelische als Ablenkung von der Beziehung zu Gott, die doch durch Christus als einzigem Mittler eine völlig neue Grundlage bekommen hat. Evangelische Kirchen, die z.B. aus der Barockzeit stammen und auch reich geschmückt sind, verwenden daher nur bildliche Darstellungen biblischer Szenen, geschriebene Bibeltexte (oft Zusammenfassungen in Reimform) und Ornamente.

Keine Angst vor Spiritualität

Zum Schluss möchte ich aber eine neuere Entwicklung nennen, an der sich zeigt, dass die Kirchenräume das Aufeinanderzugehen der Konfessionen spiegeln: So gibt es in vielen evangelischen Kirchen heute Möglichkeiten des sinnlichen Ausdrucks von Spiritualität, wie z.B. das Angebot, Kerzen anzuzünden oder Gebete niederzuschreiben. Ich denke, das verdanken wir auch der Ökumene.

Peter Pröglhöf
aus: Mitteilungen. Zeitschrift der Religionslehrerinnen und Religionslehrer der Erzdiözese Salzburg, 4/2016