Weihnachten im Wandel der Zeit

[23.12.2022]

Die „Urchristen“ feierten kein Weihnachten. Einerseits lehnten sie das Feiern von Geburtstagen als heidnisch ab, andererseits wussten sie nicht, wann Jesus geboren wurde. Heute nimmt man an, dass seine wahre Geburt im Jahre 4 oder gar 7 vor dem später festgelegten Termin stattfand. Erst im 4. Jahrhundert setzte sich langsam der späte Dezember als zu feiernder Geburtstermin von Jesus durch. Eine Rolle spielte wohl auch die Nähe zur Wintersonnenwende, die laut julianischem Kalender auf den 25. Dezember fällt.

Weihnachten feierte man anfangs sehr schlicht. Die Christen versammelten sich zu einem Gottesdienst – das war Weihnachten. Ostern hatte für die Menschen damals mehr
Bedeutung.

Erst im ausgehenden Mittelalter wurde Weihnachten als Fest wichtiger. Das war der Startpunkt für viele Traditionen. Der Baum zum Beispiel, als wichtiges Symbol unserer heutigen Weihnachten, ist seit der Zeit Martin Luthers bekannt, auch wenn er damals noch auf dem Hof stand. Der damalige Charakter von Weihnachten war der eines Dorffestes. Die Historikerin Renate Reuther erzählt dazu in einem ihrer Bücher: „Die Leute zogen durchs Dorf, klopften überall an und übermittelten Segenswünsche. Als Dank bekamen sie Lebkuchen, Stollen, Schnaps oder Wein. Alles Gesammelte wurde in einem großen Gelage gemeinsam verzehrt.“

Die Besinnlichkeit hielt erst im Lauf des 19. Jahrhunderts Einzug in deutsche Familien. Die bürgerliche Kleinfamilie als Keimzelle der Gesellschaft war das Produkt eines erstarkenden Bürgertums, das sich neben dem Adel etablieren wollte. Die Großfamilie hatte keinen Bestand mehr, da die Menschen vermehrt in die Städte zogen – eine Folge der Industrialisierung. Der Fokus verschob sich also von der Dorfgemeinschaft hin zur Familie… Und der Baum rückte vom Hof ins Wohnzimmer. Allmählich wurde Weihnachten zu dem, was es heute ist bzw. noch ist: Ein Fest der bürgerlichen Behaglichkeit rund um die „Frohe Botschaft“.

Schenken war schon damals Teil des Festes. Anfangs wurden nur Kinder beschenkt. Diese schöne Grundidee, damit Weihnachtsfreude zu verbreiten, ist heute leider zur Konsum-Orgie verkommen. Der Kommerz hat dieses Frieden und Einkehr vermittelnde Fest zu einer schrillen, oberflächlichen Geschäftsidee gemacht. Ein bewusstes Gegensteuern wäre dringlich. Könnten wir nicht zum Brauch der Anfänge zurückzukehren und nur Kinder beschenken? Verknappung täte uns doch allen gut. Man kann dabei nur gewinnen, nämlich mehr Zeit, Freude und damit Lebensqualität.

Auch der Freiburger Theologe Stephan Wahle sieht die heutige Weihnacht kritisch. Er spricht von einer „nachchristlichen“ Kultur: „Den Menschen heute kommt christliches Wissen abhanden. Viele erinnern sich nur vage an christliche Bräuche, geschweige denn an deren Herkunft und Inhalte. Religiöser Gehalt tritt zurück, eine farbige Kulisse bleibt stehen – Weihnachten wird zum Wohlfühl-Programm.“ Er ergänzt aber: „Auch wenn der klassische religiöse Kern des Weihnachtsfestes in den Hintergrund gerät, ist dem Menschen heute die Sehnsucht nach Sinn nicht abhandengekommen. Deshalb darf auch eine ‚Religiosität der Sehnsucht‘ als menschliche Grunddimension gelten. Es ist kein Wissen, mehr die Ahnung, dass ein Mensch gewordener Gott, wie ihn die Kirche zu Weihnachten feiert, für den Menschen das Glück schlechthin bedeuten kann.“

Helga Schinninger